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Der Pate von Bombay

Titel: Der Pate von Bombay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vikram Chandra
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an.«
    Sartaj schaute auf die Schuhe hinab. Ja, man konnte sie im Dienst tragen. Sie waren nicht weiter auffällig, nur ein geschultes Auge würde ihre wahre Qualität erkennen. »Vielen Dank, Sir.«
    »Keine Ursache.« Parulkar nickte befriedigt. »Jetzt siehst du wieder aus wie Sartaj Singh.«

    Homi Mehta zählte Parulkars Banknotenbündel durch, wie immer präzise und ohne Eile. Sartaj saß in einem Bürosessel zurückgelehnt, angenehm entspannt, die Hände hinterm Kopf verschränkt, die Beine ausgestreckt. Erstaunlich, mit welch heiterer Gelassenheit ihn ein Paar Schuhe erfüllen konnte, aber schließlich waren es die kleinen Dinge im Leben, auf die es ankam. Auch wenn es in der Welt drunter und drüber ging - gute Handwerkskunst war immer noch möglich, ja sogar notwendig. Sartaj bewegte die Zehen und stieß einen Seufzer aus, der Homi Mehta und ihn selbst überraschte.
    »Zwanzig. Alles komplett und korrekt.« Homi Mehta klopfte auf die Geldstapel. »Sie sind ja heute so vergnügt.«
    Sartaj zuckte die Schultern, konnte aber ein Lächeln nicht unterdrücken. »Ich fühl mich nur wohl.«
    »Haben Sie auch eigenes Geld mitgebracht?«
    »Nein, heute nicht, Onkel.«
    »Are, wie oft soll ich es Ihnen noch sagen? Spare, solange du jung bist.«
    »Ja, ich weiß, ich muß an die Zukunft denken. Nächstes Mal vielleicht.«
    »Nächstes Mal, nächstes Mal, und das Leben vergeht! Eines Tages wachen Sie auf und sind alt, lassen Sie sich das von mir gesagt sein. Was ist mit Ihrer Absicherung? Wie wollen Sie Ihre Frau ernähren?«
    »Ich bin nicht verheiratet.«
    »Ja, ja, noch nicht. Man will doch nicht auf seine Kinder angewiesen sein. Heutzutage schon gar nicht.« Homi Mehta erhob sich und begann das Geld in eine schwarze Plastiktüte zu schichten. Sein schneeweißes Leinenhemd hatte genau denselben Farbton wie sein ordentlich geschnittenes Haar. »Sie werden tüchtige Kinder bekommen, zweifellos, aber es ist eine Schande, wenn man sie um etwas bitten muß.«
    »Sie sehen mich schon als Familienvater, Onkel. Und bis zu meinem Ruhestand ist es noch lange hin. Bis dahin vergeht noch viel Zeit.«
    »Ja, eben, das sag ich ja. Nutzen Sie die Zeit sinnvoll, Sartaj. Entwickeln Sie eine Strategie. Legen Sie Ihre Ziele fest, machen Sie einen Plan. Ich helfe Ihnen dabei.«
    Sartajs Borniertheit war Homi Mehta ein Rätsel. Er war ein Mann, der nach langfristigen Strategien und ausgeklügelten Plänen lebte. »Okay, Onkel. Sie haben völlig recht. Wenn ich das nächste Mal komme, setzen wir uns hin und sprechen alles durch. Wir schreiben Ziele auf und machen ...« Sartaj beschrieb mit den Händen eine Folge von Stufen.
    »Diagramme.«
    »Genau, Diagramme. Keine Sorge, das machen wir alles. Wir kümmern uns um alles. Wir werden Pläne entwerfen.«

    Im Aufzug wurde Sartaj von einem Sabji 544 -vaala mit einem Korb voller Tomaten und Zwiebeln in die Ecke gedrängt. Er betrachtete den faltigen Hals des Liftboys. Der Fahrstuhl hielt in vielen Stockwerken, und der Mann öffnete scheppernd die Türen und ließ Dienstboten und Saabs, Mütter und Dhobis 168 herein. Sartaj dachte darüber nach, was für ein unheimliches Wesen das Leben war, man mußte es packen und zugleich loslassen, man mußte es genießen und doch auch planen, man mußte jede Minute leben und jeden Moment sterben. Und wenn es zu einer Katastrophe kam? Angenommen, das Seil riß und der Aufzug stürzte in die Tiefe, beförderte seine Fracht an Männern und Frauen in den dunklen Abgrund - würden sie sich während des Fallens über die versäumten Tage und Jahre grämen oder sich um ihre Hinterbliebenen sorgen? Das Licht, das durch das Türgitter drang, zuckte weiß und schwarz über Sartajs Augen, und er fühlte sich leicht und schwerelos und doch voller Blut, Kraft und Bewegung.
    Der Aufzug bremste ab und kam im Erdgeschoß zum Stillstand. Sartaj schüttelte all die Fragen, Annahmen und Phantasien ab und trat ins grelle Tageslicht hinaus. Er mußte wieder an die Arbeit. Als er fast am Tor angelangt war, klingelte sein Handy.
    »Sartaj-saab, salaam.«
    »Salaam, Iffat-bibi. Alles in Ordnung?«
    »Ja. Aber Sie könnten mir den Tag versüßen.«
    »Und wie?«
    »Wie ich höre, sind Sie gerade in unserer Gegend. Wollen Sie uns nicht Gelegenheit geben, Ihnen unsere Gastfreundschaft zu erweisen?«
    Sartaj stutzte. »Woher wissen Sie, wo ich bin?«
    »Are, Saab, nicht, daß wir Sie verfolgen würden. Nein, nein. Wir machen nur selbst Geschäfte mit dem Mann, dem Sie Parulkars Geld

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