Der Pate von Bombay
Frau.«
Rohit grinste. »Die beschimpfen sich gegenseitig. Sie sind berühmt für ihre Kräche. Und Arpana ist besser im Schimpfen als er. Einmal hat sie gesagt, seinem Vater könnte man mit einem Doppeldeckerbus in den Gaand fahren, so geschwollen sei der von den Prügeln, die ihm seine Geldverleiher verpaßt hätten. Im Moment ist sie nett zu ihm, weil er kaum laufen kann. Aber in ein paar Tagen geht's ihm besser, und dann gibt sie's ihm wieder.«
Noch kehrte Arpana die pflichtgetreue Ehefrau heraus, die ihren Mann am Ellbogen stützte. Wankend und schwankend war er am tiefsten Punkt der Gasse angelangt, die dann zu Katekars Haus hin wieder leicht anstieg. »Er wird stürzen und sich auch noch das andere Bein brechen«, sagte Sartaj. »Sie sollte ihm einen Rollstuhl besorgen.«
Rohit sah zweifelnd drein. »Einen Rollstuhl? In den Gassen hier, bei dem Auf und Ab? Das letzte Stück da würde der nicht schaffen, das wäre zu steil und zu holprig.« Er sah zu Boden, prüfte Neigung und Zustand der Gasse. Er war wirklich ein ernsthafter Junge.
Sartaj brachte den Motor auf Touren. »Mit einem computergesteuerten Rollstuhl ginge es«, sagte er über das Dröhnen hinweg. »Ich hab mal einen gesehen, der wäre wie ein Rennwagen die Steigung hier raufgefahren. Unwahrscheinlich.«
»Ein computergesteuerter Rollstuhl?« Rohit staunte. »Der muß einen starken Elektromotor gehabt haben. Wurde da jedes Rad einzeln gesteuert?«
»Ich weiß nicht.« Sartaj erkannte in dem strahlenden jungen Gesicht Katekars großen Glauben an die Wissenschaft wieder, sein Vertrauen in die Wunderwerke der Technologie. Zuneigung zu Rohit erfüllte seine Brust mit einem ziehenden Schmerz. »Aber es hat funktioniert. Der Typ, dem der Rollstuhl gehört hat, konnte damit sogar Treppen rauf und runter, hat er gesagt.«
»War das ein ausländisches Modell? Hier hab ich so was noch nie gesehen. Toll.«
»Ja, der war importiert. Aber für indische Verhältnisse, für Schmutz und Monsun war er wohl nicht konstruiert. Der arme Kerl bekam keine Ersatzteile dafür. Der Rollstuhl war sehr schwer instand zu halten.«
Rohit schüttelte den Kopf. »Unser Land ist so was von primitiv.« Und als er das sagte, sah er seinem Vater so verblüffend ähnlich, daß Sartaj den Kopf zurückwarf und lachte.
»Lern schön, Guru«, sagte er, versetzte ihm einen kräftigen Stoß gegen die Brust und fuhr dann die Gasse hinauf zur Hauptstraße. Inzwischen herrschte mehr Betrieb, die Leute gingen zur Arbeit, er kam nur im Schrittempo vorwärts. Auf den Hauswänden lag noch ein morgendlicher Schimmer, und aus den kleinen Häusern strömten Kinder in Schuluniform auf den Weg hinaus. Um sie vorbeizulassen, mußte Sartaj so oft mit den Füßen auf dem Boden anhalten, daß ihm die Waden wehtaten. Was würde aus Katekars Söhnen werden? Was würde aus Mohit werden? Sartaj dachte an Mohits Raufereien, an seine Wut, seinen Haß. Wo würde er in zehn Jahren stehen?
Endlich kam Sartaj an die Kreuzung. Er schoß auf die breite Asphaltstraße hinaus, daß sich sein Motorrad aufbäumte, bog nach links und gab erleichtert Gas. Er war froh, aus dem Basti, aus dem Gäßchengewirr herauszukommen, und beschleunigte weiter. Doch die Furcht folgte ihm, das Bild eines älteren Mohit, der quer über dem Rinnstein in einer schmutzigen Gasse lag. Das Gesicht konnte Sartaj nicht sehen, dort war nur Leere, aber er wußte, daß es Mohit war. Er blutete aus mehreren Schußwunden, und er war tot. Sartaj schüttelte den Kopf und versuchte an seine Ermittlungen zu denken. Nein. Mohit würde sein Trauma überwinden, er würde vergessen, er würde gesunden. Er würde kein Tapori werden, kein Gangster, kein Bhai. Nein. Kamble würde keinen Ärger mit ihm haben, nein, nicht in zehn Jahren, überhaupt nie. Dafür würde Sartaj sorgen.
Er fuhr Richtung Süden, schlängelte sich mit hoher Geschwindigkeit durch den Morgenverkehr. Doch weder sein Tempo noch seine riskanten Manöver erlösten ihn von Mohits Haß, von der Gewißheit über Mohits Zukunft. Mohit in einem karierten Hemd, aus drei Wunden in der Brust blutend von Schüssen, die aus nächster Nähe abgegeben worden waren. Das Bild war sehr real. Du siehst zu schwarz, sagte er sich, das ist idiotisch. Mohit wird es schon schaffen. Mohit wird es schon schaffen. Er fuhr weiter.
Parulkar erwartete Sartaj in der Wohnung seiner Nichte in Santa Cruz. Die Geldlieferungen an Homi Mehta, seinen Finanzberater, hatten eine Zeitlang stagniert, zogen nun aber
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