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Der Pate von Bombay

Titel: Der Pate von Bombay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vikram Chandra
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erzählt hatte, wußte keiner, wo man nach ihr suchen sollte. Selbst die Freundin, die ihr geholfen hatte, dachte, Jamila sei auf dem Weg zu einem heimlichen verheirateten Liebsten. Doch es gab keinen Mann, keinen Liebsten, außer in ihren Träumen. In Bombay legte Jamila die Burka ab und zog, wieder unter einem anderen Namen, in eine kleine Frauenpension in der Nähe der Haji-Ali-Moschee, in einen Schlafsaal, wo jede Frau ein Bett, einen kleinen Tisch und ein sechzig Zentimeter hohes Regal hatte. Ich wußte, wie sie in den ersten paar Monaten gelitten hatte, wußte von den kleinen Verkaufsjobs, den grabschenden Chefs, den dreistündigen Busfahrten zu Fototerminen, den unsittlichen Anträgen, den Demütigungen. Ich hatte von alldem gehört, und doch begriff ich erst in jener Nacht, wie stark Jamila tatsächlich war. Jojo hatte recht gehabt, Jamila war wie ich. Manche Köpfe können die Welt verändern. Ich hatte von Guru-ji gelernt, daß die Erde, über die wir gehen, der Himmel, unter dem wir uns zusammendrängen, daß das alles nur ein Traum ist. Wer Tapas 619 und genügend Willenskraft besitzt, kann die Welt bewegen, hatte er gesagt. Ich hatte mein Leben selbst geschrieben. Nun wußte ich, daß auch Jamila diese Fähigkeit, dieses Verlangen hatte. Wir, die wenigen Menschen mit solch weitreichender Vision, sind in der Lage, uns selbst neu zu erfinden. Irgendwann in jener Nacht, zwischen Einschlafen und Aufwachen, beschloß ich, einen Film für sie zu machen.

    »Du bist der egoistischen Giraffe also tatsächlich verfallen«, stellte Jojo fest, als ich ihr von meinem Plan erzählte, einen Film zu produzieren. Ich hatte sie wie üblich nachmittags in Bombay angerufen.
    »Warum sollte ich irgendwem oder irgendwas verfallen sein?« fragte ich. »Ich will schon ewig einen Film machen.«
    »Vielleicht, mag sein. Aber du hast genau jetzt beschlossen, es zu tun. Gib's doch zu, du bist verrückt nach ihr. Die egoistische Giraffe hat dich an der Angel.«
    Sie ließ sich durch nichts von diesem Glauben abbringen und auch nicht davon, Jamila unaufhörlich als egoistische Giraffe zu bezeichnen. Und das, obwohl Jamila doch ihr Schützling und sie, Jojo, die große Gönnerin des Mädchens war, sie überhaupt erst zu mir geschickt hatte. »Jojo, du bist ja eifersüchtig auf das arme Ding.«
    Das entlockte ihr ein schallendes Jojo-Lachen. »Eifersüchtig, weil sie es sich alle zwei Minuten von dir besorgen lassen muß, Gaitonde?« Ich hatte ihr in einem schwachen Moment - im Zustand entspannter Befriedigung - erzählt, wie sehr ich es genoß, Jamila in den verschiedensten Positionen und an den ungewöhnlichsten Orten zu vögeln. Einer Frau persönliche Informationen an die Hand zu geben war eine Dummheit, vor der ich meine Jungs immer wieder warnte: Sie würde diese Informationen eines Tages gegen einen verwenden. Aber bei Jojo verstieß ich gegen meine eigenen Regeln. Wir kannten uns schon zu lang, und wir kannten uns zu gut. Manchmal wurde mir sogar mitten im Akt bewußt, daß ich mich darauf freute, Jojo davon zu erzählen, daß dieses Erzählen wesentlich war, der Akt allein zu diesem Zweck stattfand. Und deshalb wußte sie zuviel, unter anderem auch, wieviel Spaß es mir machte, die egoistische Giraffe zu reiten. »Ich habe Besseres zu tun, als dir alle zwei Minuten den Gaand hinzuhalten, Gaitonde«, sagte sie.
    »Aber Jamilas Gaand wird auf einer großen Leinwand erscheinen«, sagte ich. »Und das wird dich schwer anstinken.«
    »Vor zehn Jahren hätte es das. Vielleicht sogar noch vor fünf. Aber jetzt bin ich glücklich und zufrieden, Baba. Kannst du das verstehen? Glücklich und zufrieden. Mir gefällt meine Arbeit, mir gefällt, was ich habe. Ich bin erfolgreich. Und mir ist inzwischen klar, daß ich, selbst wenn ich eine Filmrolle bekommen hätte, in diesem Busineß nicht lange bestanden hätte. Ich war ein kleines Mädchen, das ein großes Spiel spielt. Ich hatte von nichts eine Ahnung.«
    »Jamila hat dieses Busineß seit ihrer Kindheit genauestens studiert.«
    »Ja. Sie hat lange sehr, sehr hart gearbeitet. Weil sie eine egoistische Giraffe ist.«
    Da war er wieder, dieser kleine Stich am Ende des schließlieh doch erfolgten Kompliments. »Sei keine Kutiya«, sagte ich. »Du lebst von Bachchas wie ihr. Und von ihrer harten Arbeit.«
    Das gestand Jojo bereitwillig zu. Sie konnte scharf sein wie das Messer eines japanischen Kochs, aber sie war ehrlich. »Stimmt«, sagte sie, »und einige von ihnen schicke ich dir,

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