Der Pate von Bombay
Manus Erzählung gebannt, von seiner Mimik, seiner Ausgestaltung der Szenen, seinen Schilderungen der verzweifelten Flucht des Mädchens und des Jungen durch Indien und Europa. Als er fertig war, lehnten wir uns alle erschöpft und glücklich zurück, fast als hätten wir tatsächlich den Film gesehen.
»Das ist wirklich gut«, sagte Arvind. Er war zwei Tage zuvor eigens für die Drehbuchlesung aus Singapur gekommen, ohne seine geliebte Suhasini. »Es wird funktionieren. Ich glaube, da wird ein erstklassiger Film draus. Sehr spannend, aber gleichzeitig auch sehr gefühlvoll.«
»Du hältst dich wohl für Basu Bhattacharya 064 ?« fragte ich unter allgemeinem Gelächter. Doch ich grinste dabei. Das Drehbuch war gut, und alle grundsätzlichen Einwände, die ich geäußert hatte, waren berücksichtigt worden. Ich kannte die Handlung in- und auswendig, und trotzdem hatte sich während der Lesung mein Bauch angespannt, und in der Szene, wo sich der Junge von seiner Mutter verabschiedet und loszieht, um seinen Kampf zu kämpfen, hatte es mir schmerzhaft die Kehle zugeschnürt. Ich wandte mich Manu zu. »Okay«, sagte ich. »Ich denke, wir können mit dem Drehen beginnen.«
Er boxte ein paarmal in die Luft, sprang dreimal in die Höhe und packte dann meine Hände. »Ja, Bhai«, sagte er. »Das sehe ich auch so. Wir sind soweit. Fangen wir an. Legen wir los.«
Zoya hatte zwischenzeitlich am Miss-Universe-Wettbewerb in Argentinien teilgenommen und den vierten Platz belegt. Wir waren uns sicher gewesen, daß sie gewinnen und ein Jahr lang mit den Pflichten einer Miss Universe beschäftigt sein würde, doch die Preisrichter hatten ihre unerklärliche Entscheidung getroffen, und sie hatte nun nichts zu tun und war ungeduldig. »Wir fangen sofort an«, sagte ich zu Manu. »Aber zuerst feiern wir alle. Ich gebe euch zwei Nächte. Und jeder bekommt eine Sonderzulage. Nehmt die Barkasse. Ihr könnt im Bungalow übernachten.«
Ich gab jedem zwanzigtausend Baht 046 , schickte sie fort und behielt nur Arvind und eine Stammbesatzung von drei Jungs da - und das Drehbuch. Ich las es noch einmal, schmökerte mich durch Manu Tewaris geradezu fanatisch gestochene Handschrift hindurch, seine schnurgeraden Zeilen, die so viele Schießereien, Küsse, Karambolagen, Tränen und gebrochene Herzen bargen. Ich las das Drehbuch zweimal, und dann rief ich Jojo an und las es ihr komplett vor. Ich schloß: »Abblende« und fragte dann: »Glaubst du, es funktioniert?«
»Ja«, sagte sie.
»Und?«
»Are, was und? Ich habe doch gesagt, es funktioniert.«
»Ich kenne dich, Saali. Wenn du ja sagst, kann das in Wirklichkeit nein heißen. Also, raus mit der Sprache.«
»Ich habe es dir doch gesagt. Es wird als das, was es ist, funktionieren.«
»Und was ist es?«
Sie holte langsam und tief Luft. »Gaitonde«, sagte sie. »Ich wollte nichts Bestimmtes damit sagen. Es ist ein großartiges Drehbuch. Es wird ein Hit werden.«
Ich holte ebenfalls tief Luft, brauchte einen Moment, um meinen Ärger zu unterdrücken und sagte dann in so vernünftigem Ton wie möglich: »Nein, nein, Jojo. Wenn jemand an dem Drehbuch zweifelt, müssen wir das erfahren. Wir müssen es erfahren, um Verbesserungen vornehmen zu können.«
Sie wußte, daß ich nicht lockerlassen würde, also raffte sie sich auf und rückte mit der Sprache heraus. »Na gut. Ich habe gemeint, daß das Drehbuch für das, was es ist, völlig okay ist. Und was es ist ... das wird halt einer dieser Filme, in denen Männer irgendwas in die Luft sprengen, dauernd kämpfen und umeinander weinen.«
»Meine Jungs und ich kämpfen und weinen auf diesem Boot auch. Was ist daran verkehrt?«
»Nichts. Ich habe dir doch gesagt, dein Film wird ein Hit.«
»Aber?«
»Nichts aber. Es ist einfach nicht die Sorte Film, die ich besonders gern sehe.«
»Willst du damit sagen, daß die Frauen nicht reingehen werden? Wart bloß ab - bei den Stars, die wir verpflichtet haben, und den Songszenen, die wir drehen werden, schleifen die Frauen sogar noch ihre Kinder und ihre Großmütter mit. Und alle werden Zoya sehen wollen.«
»Baba, ich habe doch gesagt, daß es ein Hit wird, oder? Ich meine einfach nur, daß es halt eine bestimmte Sorte Film ist.«
»Ja, es ist keiner von den Filmen, in denen sich drei Frauen anderthalb Stunden lang was darüber vorsabbern, wie traurig und unterdrückt sie sich fühlen, und dann zwei andere Frauen sich eine weitere Stunde darüber auslassen, wie mies die Männer doch sind.
Weitere Kostenlose Bücher