Der Pate von Bombay
gebe!« sagte Amit. »Weißt du, wie viele Dreckskerle ich umbringen mußte, um dieses Geld zu verdienen?« Und Nitin sagte: »Fünfzig Jahre Planwirtschaft, und was haben wir davon? Heimindustrie, die seit fünfzig Jahren nur Verluste bringt, eine Bevölkerung, die ihre ganze Zeit und Energie darauf verwendet, all die idiotischen Vorschriften zu umgehen, und flächendeckende Korruption.« Suresh schließlich fragte: »Wo ist denn deine tolle Sowjetunion jetzt, Sala? Wo ist sie?« Manu Tewari hielt dagegen und prophezeite, der Kapitalismus werde infolge seiner inneren Widersprüche zusammenbrechen, der Lauf der Geschichte sei unaufhaltsam, und sie seien ein ignoranter Haufen, sie seien schlichtweg außerstande, die unterschwellig wirkenden Kräfte wahrzunehmen. »Unsere Geschichte kann nur eine Art von Ende haben«, sagte Manu Tewari. »Das Proletariat wird die Herrschaft erlangen.« Woraufhin Amit sagte: »Genau, Yaar. Ich bin das Proletariat. Und ich will drei Mercedes, drei Orgasmen pro Tag und jede Menge leckeres Butterhuhn. Und was habe ich, wenn ich das irgendwann alles habe? Die Herrschaft über ein paar jämmerliche Proletarier.«
Mit seinen politischen Vorträgen erwarb sich Manu Tewari auf meiner Yacht also keine Gefolgschaft grimmiger Genossen. Doch wenn er die Regeln für das Verfassen eines guten Drehbuchs erläuterte, hörten wir ihm alle aufmerksam zu, und es gab unzählige Regeln. Die Jungs nannten ihn inzwischen nur noch Manu Reglari. Er hatte für jeden Anlaß, für jede Szene und Situation eine Regel parat und dazu immer gleich Beispiele, die ihre Wirksamkeit belegten. Er erklärte uns, der Bösewicht müsse stärker als der Held sein und irgendwie auch attraktiv. Es dürften nie zwei Songs direkt hintereinander kommen, außer wenn Suray Barjatya Regie führte. Die Heldin müsse ausgesprochen sexy sein, dürfe aber nie Sex haben. Die ersten ein, zwei Szenen nach der Pause müßten belanglos sein, denn die Zuschauer brauchten ein paar Minuten, um mit ihren Samosas und Getränken wieder in den Kinosaal zu kommen. Wenn es auf den Höhepunkt zugehe, müsse das Tempo anziehen, denn das Publikum werde bald aufstehen und gehen, um dem Stau draußen zuvorzukommen. Die Mutter des Helden müsse früh eingeführt werden, und wir müßten uneingeschränkte Liebe für sie empfinden. Dieser Regel allerdings widersprach ich: »Warum müssen wir den Film auch noch mit einer Mutter belasten?« fragte ich. »Das Drehbuch ist doch ohnehin schon zu lang, und wir müssen Szenen wegstreichen. Die Mutter nimmt uns nur Zeit weg.«
»Bhai, wir brauchen eine Mutter. Das ist eine Grundvoraussetzung. Sonst fragt man sich, wer ist der Held? Wo kommt er her? Man wird ihn nicht für voll nehmen.«
»Ich weiß überhaupt nichts über Ihre Mutter, Sie Mistkerl, aber trotzdem nehme ich Sie für voll. Warum müssen wir sie zeigen? Daß es eine Mutter gibt, ist doch klar.«
»Wir brauchen sie als Sympathieträgerin, Bhai. Ein Held ohne Mutter und ohne die Liebe, die ihn mit ihr verbindet, ist unvollständig. Eine gute Mutter macht auch den Helden zu einem guten Menschen, selbst wenn er eigentlich keiner ist.«
»Und wenn er eine böse Mutter hat? Wird er dadurch zu einem besseren Menschen?«
Manu grinste. »Im Film gibt es keine bösen Mütter, Bhai. Nur böse Stiefmütter.«
Im wahren Leben gab es sehr wohl böse Mütter, aber ich mußte zugeben, daß es im Film keine gab, und so ließen wir die Mutter drin. Sie erschien in zwei Szenen am Anfang, dann in einer direkt nach der Pause, und in der letzten Einstellung sah man sie noch einmal gütig lächelnd im Hintergrund, während der Junge und das Mädchen in einem Rennboot davonsausten. Damit konnte ich leben.
Als das Drehbuch einschließlich sämtlicher Dialoge fertig war, veranstalteten wir eine Lesung. Sie fand am frühen Morgen statt, vor dem Patong Beach. In der Morgenstille trug uns Manu die Story vor: von der Einführung des Helden, der einen Juwelierladen ausraubt, über den Verrat durch seine Unterweltpartner, seine Entdeckung einer terroristischen Verschwörung und seine erwachende Liebe zu dem Mädchen, das seine Verbindungsperson zu den Terroristen war, bis hin zu seinem durch diese Liebe entfachten Patriotismus, seinem Kampf gegen die Terroristen wie auch die verräterischen Bhais und dem abschließenden Höhepunkt. Die Lesung dauerte drei Stunden, und bald brannte uns die Sonne glühend heiß auf den Rücken, doch keiner nahm davon Notiz. Wir waren völlig von
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