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Der Pate von Bombay

Titel: Der Pate von Bombay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vikram Chandra
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diskutierte, begann ich zu begreifen, wovon er sprach. Er lehrte mich viel über das Kino, etwa wie ein simpler Schnitt von einem ausgeblasenen Streichholz zu einer in Flammen stehenden Wüste gleichsam in der Brust des Zuschauers explodieren und ihn in den Kinosessel drücken kann. Wir schauten uns mit ihm zusammen DVDs an und eigneten uns die Sprache der extremen Nahaufnahmen und Totalen an, der schnellen Ortswechsel und Zeitraffung, wir erfuhren, daß eine schlichte Kamerafahrt mehr vermitteln konnte als tausend Bücher. Ich lernte all diese filmischen Mittel kennen, sah mir Mugahl-e-Azam und Kagaz ke Phool an, sah sie mir Dutzende Male an und begriff, daß eine kleine Gruppe von Meistern ihres Fachs, eine Bande zielstrebiger Irrer, aus Licht und Klang und Raum schimmernde Monumente erschaffen konnte, die sich auf Stoffleinwänden, schmutzigen Dorfmauern, einer Yacht auf den Meeren des Südens materialisierten. Ich erkannte, daß eine gute Geschichte eine gewisse Geometrie aufweist, daß sie einer Folge von Kurven gleicht, von wellenförmigen Steigerungen bis hin zur Explosion am Ende, zur Befriedigung. Wenn der Plot hinkte, wenn er mit irgendeinem Makel behaftet war, erzeugte seine Häßlichkeit nichts als Langeweile und Leere. In der Schönheit lag die Seligkeit.
    »Genau«, bestätigte mir Guru-ji eines Nachmittags. »Aber nicht nur Seligkeit, sondern auch Schrecken.« Er hatte die langsame Entstehung unseres Drehbuchs mit einem unerwarteten Vergnügen verfolgt. Ich hatte damit gerechnet, daß er das ganze Projekt zu schäbig und kindisch finden würde, doch wieder einmal überraschte er mich. Er hörte sich aufmerksam unsere Ideen und Veränderungen an und gab Ratschläge, ohne anmaßend zu sein. Und nun entdeckte er also nicht nur Schönheit, sondern auch Schrecken in unserem halbfertigen Drehbuch.
    »Schrecken, Guru-ji?« hakte ich nach. »Wieso?«
    »Alles, was wirklich schön ist, ist auch schreckenerregend.«
    Ich dachte darüber nach. War Zoya schreckenerregend? Nein. Ich verspürte ein heftiges Verlangen nach ihr und manchmal einen Anflug von Beunruhigung, weil dieses Verlangen so stark war, aber ich hatte keine Angst vor ihr. Natürlich nicht. Doch ich wollte Guru-ji nicht widersprechen. Statt dessen sagte ich: »Aber Guru-ji, Sie haben doch gesagt, daß die Welt schön ist, weil sie eine innere Ordnung und Symmetrie aufweist. Macht sie das denn beängstigend?«
    »Ja. Für den normalen Menschen, der bloß Willkür sieht, ist die Welt einfach nur deprimierend. Erst wenn man ein paar Schritte weitergeht, erfaßt man ihre Schönheit. Und dann wird einem klar, daß diese exquisite Vollkommenheit schrecklich, daß sie beängstigend ist. Wer diese Angst besiegt, weiß, daß Schönheit und Schrecken ein und dasselbe sind und auch sein sollen. Es gibt keinen Grund, Angst zu haben. Damit die Welt schön sein kann, muß sie enden. Zu jedem Anfang gehört ein Ende. Und zu jedem Ende ein Anfang.«
    »Symmetrie?«
    »Ja, Ganesh. Genau das.«
    Ich begann den größeren Zusammenhang zu erkennen. Deshalb also mußte sich das Drehbuch in einem Zyklus von Sequenzen vorwärtsbewegen, zugleich aber auf einen unvermeidlichen Höhepunkt zustreben, nach dem nichts mehr dasein würde. Oder, wie Guru-ji andeutete, vielleicht schon, aber erst nachdem die Welt des Drehbuchs verschwunden war. Trotzdem hatte ich immer noch Mühe - wie so oft -, seine Aussage vollständig zu begreifen. »So ganz verstehe ich das immer noch nicht, Guru-ji, tut mir leid. Ich erkenne, daß Ordnung notwendig ist. Aber ich mag Schönheit, ich habe keine Angst vor ihr.«
    Er lachte, freundlich. »Keine Sorge, Ganesh. Du bist ein Vira. Du wirst den Gipfel ganz erklimmen und in den Abgrund schauen. Du wirst sowohl Schönheit als auch Schrecken sehen. Doch vorerst tust du genau das Richtige. Du wirst das Publikum verführen und eine Menge Geld verdienen.«
    Ja, das Geld. Darüber stritt sich Manu mit den Jungs. Er arbeitete in dem profitorientiertesten Busineß der Welt, doch er wollte, daß die Reichen ihr Geld den Armen gaben. Er glaubte an die Verstaatlichung der Schlüsselindustrien, an hohe Steuern für die Mittelklasse und noch höhere für die Oberklasse und an radikale Maßnahmen, um die indische Industrie vor Importen und den multinationalen Konzernen zu schützen. Die Jungs kamen alle aus Familien mit geringem Einkommen, aber noch der letzte von ihnen war ein knallharter Kapitalist. »Ich bin doch kein Chutiya, daß ich mein Geld den Armen

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