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Der Pate von Bombay

Titel: Der Pate von Bombay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vikram Chandra
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reglos wie eine Statue in einem Tempel da. »Wissen sie von mir?«
    »Von Ihnen? Nein, nein, Guru-ji. Überhaupt nicht. Wir haben Sie vollkommen aus der Operation herausgehalten, Ihr Name ist nicht ein einziges Mal gefallen. Niemand aus meiner Company weiß auch nur von Ihnen. Ich habe strengste Sicherheitsvorkehrungen getroffen. Und ich bin allein hierhergekommen, ohne Jungs, ohne Schutz. Von unserer Seite besteht keinerlei Gefahr für Sie, dafür habe ich gesorgt. Aber meiner Ansicht nach sollten wir die Waffentransporte vorläufig einstellen. Im Moment ist die Sache einfach zu brenzlig.«
    »Ja, Arjun. Im Prinzip stimme ich dir zu. Aber laß mich noch darüber meditieren.« Er legte mir die Hand auf die Schulter. »Du siehst müde aus. Schlaf jetzt. Wir reden morgen früh weiter. In dem kleinen Zimmer steht ein Bett für dich.«
    Er hatte recht. Ich war um die halbe Welt gereist, nach vielen Tagen voll schlechter Nachrichten und Konflikte. Ich fühlte mich ausgezehrt, geschwächt, hielt mich nur noch mit letzter Kraft wach. Er legte mir die gewölbte Hand zum Segen auf den Kopf, und mir war, als glitte ich wohlbehütet in den Schlaf. Seine Augen waren dunkel, unergründlich, riesig. Er hieß mich aufstehen und umarmte mich. »Geh schlafen. Ich werde darüber nachdenken. Morgen entscheiden wir, wie wir verfahren werden.«
    Ich wankte in das mir zugewiesene Zimmer, fiel ins Bett. Ich schaffte es gerade noch, mich auf die Seite zu drehen, dann schlief ich ein.
    Als ich erwachte, hörte ich Mantragesang. Ich setzte mich auf und war sofort bei mir. Während ich durch die Suite tappte, merkte ich, wie hungrig ich war. Meine Schultern fühlten sich stark und entspannt an, ich spürte meinen kräftigen Herzschlag in der Brust, ein wohliger Geschmack erfüllte meinen Mund. Ich lachte. Ich fühlte mich wie neugeboren. Eine Nacht in Guru-jis Nähe durchgeschlafen, und ich war wieder jung und frisch.
    Die großen Fenster auf der Ostseite der Suite gingen auf einen Garten hinaus, und dort sah ich Guru-ji und die Sadhus eine Puja abhalten. Sie hockten in einer quadratischen Mulde, Guru-ji vor einem kleinen Feuer in der Mitte. Ich setzte mich im Schneidersitz ans Fenster und sah ihnen von ferne zu. Es war noch sehr früh, und unter dem tiefen Grau dieses fremden Himmels erhellte ein zarter Lichtschein ihre Gesichter. Ich kannte die Mantras nicht. Es handelte sich wohl um eine Zeremonie nur für Sadhus, dachte ich, und war es zufrieden, einfach dazusitzen und zuzuhören.
    Doch später erklärte mir Guru-ji das Ritual. Bei Anbruch der Morgendämmerung, sagte er, meditierten sie über Veränderung. Sie arbeiteten mit diesem kleinen Yagna darauf hin, daß eine Veränderung in der Welt geschehe. Das Universum sei das Bewußtsein schlechthin, das in Interaktion mit der Materie stehe, die ihrerseits reine Energie sei. Das Bewußtsein der Mönche im Verein mit Guru-jis enormer spiritueller Kraft bewege das universale Bewußtsein auf eine Verwandlung hin. »Die Geschichte hat eine Form, Arjun«, sagte er. »Das Universum ist ein gestalterisches Wunderwerk. Wir haben darüber schon geredet. Sieh dir diesen Garten an. Zu jedem Insekt gibt es einen natürlichen Feind. Zu jeder Pflanze eine Funktion. Manche Wissenschaftler sehen diese Schönheit und behaupten, sie sei das Ergebnis willkürlicher Selektion, purer Zufall und sonst gar nichts. Sie sind blind. Sie haben Angst. Wenn man jedoch vom Zufall Abstand nimmt und mit dem richtigen Blick hinsieht, erkennt man ein Muster unter dem Chaos. Die Frage ist bloß: Ist man in der Lage, seine Zeichen zu lesen, versteht man seine Sprache? Sieht man unter die Oberfläche? Du und ich, Arjun, wir sitzen hier in einem Garten und unterhalten uns. Die Sonne geht auf. Ist das alles Zufall, ohne jede Bedeutung? Hat nicht alles eine Richtung?« Er machte eine ausholende Armbewegung, die uns, die ganze Erde, den Himmel einschloß. »Schau in dich hinein, Arjun. Spüre die Wahrheit in deinem Innern. Und sag mir: Wer ist der Schöpfer dieser Richtung?«
    Die Antwort darauf kannte ich: »Das Bewußtsein.«
    »Zweifellos. Und weißt du, wo dieses Bewußtsein sitzt? Wo es beheimatet ist?«
    »Überall?«
    »Ja. In uns. In dir, Arjun. Dein Bewußtsein ist das universale Bewußtsein. Es gibt keinen Unterschied. Wenn du das erkennst, wirklich erkennst, dann gibt es nichts, was du nicht tun könntest. Du kannst sogar die Geschichte formen. Wenn der Vira das Denken hinter sich läßt, kann er die Geschehnisse lenken.

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