Der Pate von Bombay
schmuggeln lassen, und an sein Verschwinden dachte, in erster Linie deshalb, weil ich das alles selbst kaum begriff. Ich trug eine grauenhafte Angst in mir und dazu bruchstückhafte Bilder von Feuer, immer wieder Feuer. Ich wollte, daß Jojo Bombay verließ. »Man weiß nie«, sagte ich. »Vielleicht macht Pakistan einen Schritt. Und dann machen wir einen Schritt. Vielleicht beschließt irgendein General, daß der richtige Zeitpunkt für einen Angriff gekommen ist. Und dann wäre Bombay das erste Ziel.«
»Wir haben zur Zeit freundschaftliche Beziehungen zu Pakistan, Gaitonde. Selbst wenn wir uns anschreien, ist das doch alles nur Show. Die tönen halt groß rum, und dann tönen wir groß rum, bas. Mach dir nicht solche Sorgen, Gaitonde.«
Ich versuchte sie zu überreden, Urlaub in Neuseeland zu machen oder auch nur zum Shoppen nach Dubai zu fliegen. Aber nein, sie hatte in der Stadt zu tun, sie produzierte und managte, sie mußte Geld verdienen und sich mit Leuten treffen, sie war einfach zu beschäftigt. »Und selbst wenn es passiert, Gaitonde«, sagte sie, »na und? Wir müssen alle irgendwann sterben. Und wenn es Bombay nicht mehr gibt, wo soll ich dann leben? Ich kann doch nicht in mein Dorf zurückgehen.« Sie lachte. »Oder soll ich vielleicht zu diesem Wie-hieß-er-noch-gleich in Kuchaman City ziehen? Hör zu, Baba: Wenn diese Stadt weg ist, dann ist auch mein Büro weg, meine Wohnung, meine ganze Arbeit, dann ist alles weg, was ich kenne. Und dann gibt es für mich sowieso nichts mehr, wofür es sich noch zu leben lohnte.«
Ebenso tat sie meine Versuche ab, sie nach Australien zu schicken, und brach in wildes Gelächter aus, als ich ihr vorschlug, ihr Geschäft nach London zu verlagern. Sie sagte: »Mach dir nicht so einen Kopf, Gaitonde. Letzten Monat habe ich das in einem amerikanischen Film gesehen, da hat jemand mitten in einer amerikanischen Stadt eine riesige Atombombe gezündet. Während des Films hatte ich Angst, aber hinterher war alles in Ordnung. So was passiert nur im Kino. Es ist einfach zu filmi. Wenn es in einem Film passiert, wird es im normalen Leben nicht passieren. Niemand wird eine Dhamaka auslösen. Den Film hast du schon selbst gemacht. Sei nicht so furchtbar angespannt, wegen nichts und wieder nichts. Entspann dich. Geh schlafen.«
Ich ließ es dabei bewenden, widersprach ihr nicht und redete über andere Dinge. Aber ich hatte eine Idee. Ich behielt sie für mich, sagte Jojo nichts davon, doch ich schickte meine Jungs an die Arbeit. Dieses Projekt hat absolute Priorität, sagte ich ihnen. Ich investierte einen Haufen Geld, ließ Materialien aus Belgien und Thailand direkt ins Zentrum von Bombay schaffen. Ich verfolgte den Bau sehr aufmerksam. Ich ließ mir stündlich Fotos mailen und sah zu, wie unglaublich dicke Mauern aus einem dunklen Quadrat auf einem Baugrundstück in Kailashpada emporwuchsen. Dieses Dunkel war eine gewaltige Ausschachtung tief im Boden. Ich baute ein sicheres Haus, einen Bunker. Ich baute Mauern, die dem Feuer widerstehen würden, eine undurchdringliche Tiefe, die das Gift von Jojos Haut fernhalten würde. Ich errichtete dieses Haus für sie, damit sie sich im Notfall dorthinunter begeben konnte. Doch ich stellte fest, daß ich selbst bei dem Gedanken an dieses weiße Haus abends endlich einschlafen konnte. Und so entwickelte ich auf meiner Yacht folgendes Abendritual: Nachdem ich mich vergewissert hatte, daß die Wachteams postiert und Bewegungsmelder sowie Nahbereichsradar überprüft, neu eingestellt und aktiviert waren, schloß ich mich in meiner Kabine ein. Ich setzte mich in einer bequemen Haltung auf den Boden und meditierte. Ich versuchte meinen Geist zur Ruhe zu bringen, auf einen Punkt zu konzentrieren und das Bewußtsein zu erleben, welches das Universum war, das ich war. Ich ließ Götter und Göttinnen hinter mir, den blauhäutigen Krishna mit seinem blutroten offenen Mund und seinen Vernichtungsdrohungen, ich begab mich über jegliche Form hinaus und zum Kern alles Seins, das jenseits der Sprache lag. Danach ging ich ins Bett. Ich rollte mich zu einem Ball zusammen, und dann war ich in Bombay, in Kailashpada, in meinem weißen Würfel tief unter der Erdoberfläche, geschützt und umfangen von gutem, dickem Stahl und dem besten, härtesten Zement der Welt. In dieser imaginierten Umarmung fand ich schließlich Frieden. Ich war in Sicherheit.
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Der Weltuntergang
K amble war noch immer kreuzunglücklich über den Ausgang des Falles Kamala
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