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Der Pate von Bombay

Titel: Der Pate von Bombay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vikram Chandra
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wissen, woran die beiden gestorben sind, Bhai«, berichtete mir Nikhil. »Es war die Strahlenkrankheit.«
    Ich mußte nachfragen, was die Strahlenkrankheit war.
    Nikhil erklärte es mir, soweit er es von den Ärzten erfahren hatte. »Sie haben gefragt, ob Gaston und Pascal in letzter Zeit ein Kernkraftwerk besucht hätten, Bhai. Das in Trombay zum Beispiel. Oder ob sie Wasser aus einem Brunnen in der Umgebung von Trombay getrunken oder Fisch aus einem Gewässer in Thane gegessen hätten. Oder ob sie in der Nähe des Atomkraftwerks von Tarapur gewesen seien. Ich habe natürlich nein gesagt. Warum hätten Gaston und Pascal nach Tarapur fahren sollen?«
    »Hast du ihnen irgendwas gesagt, Nikhil?«
    »Nein, nein, gar nichts. Überhaupt nichts, Bhai. Ich habe ihnen nur die Wahrheit gesagt, nämlich daß Gaston und Pascal ehrbare Geschäftsleute und Familienväter sind. Daß sie keinen Fuß in diese verseuchten Gegenden gesetzt haben.«
    Aber natürlich waren sie erst kürzlich unterwegs gewesen, hatten eine Fahrt übers offene Meer gemacht. Das Meer war nicht verseucht, aber vielleicht konnte man sich von etwas, das man auf dem Wasser transportierte, die Strahlenkrankheit zuziehen. Ich rief ein weiteres Mal Guru-ji an, und als wieder keiner antwortete, schickte ich ein paar Jungs in sein Büro in Delhi und zu ihm nach Hause, nach Noida und Mathura. Seine Bediensteten wußten nicht, wo er war, seine Sadhus wußten es nicht, und auch seine Mutter sagte, sie wisse es nicht. Er war weg, verschwunden, als hätte er plötzlich seinen Körper transzendiert und wäre eins mit dem Universum geworden. Doch die Sadhus, die ihm am nächsten standen, waren ebenfalls verschwunden, Prem Shantam und all die anderen aus dem engeren Kreis, diejenigen, die mit Guru-ji reisten, sich um ihn kümmerten und für ihn sorgten. Guru-ji hatte diese Erde nicht verlassen, er war irgendwohin unterwegs. Aber wohin? Wo endete diese Reise und wann?
    Ich versuchte die Antwort logisch zu ergründen, mich an meine Gespräche mit Guru-ji zu erinnern und von seinen Äußerungen auf seine Absichten zu schließen. Doch selbst während ich es versuchte, war mir klar, daß meine Versuche fruchtlos waren, daß meinem gewöhnlichen Verstand nicht gelang, auch nur für einen kurzen Moment Guru-jis außergewöhnliches Denken zu durchdringen. Und meine Gedanken fühlten sich matt an, ausgelaugt durch die Angst und durch die zahllosen Belange meiner ins Schleudern geratenen Company überstrapaziert. Meine Aufmerksamkeit war zerfasert, ich mußte mich zu vielen Problemen widmen, zu viele Details der Neuordnung meiner Company überdenken und realisieren, mich um zu viele Verwundete und Witwen kümmern. Ich konnte mich auf nichts mehr richtig konzentrieren, verlor mich tags in vagen Träumen und konnte nachts nichts schlafen. Ich war in schlechter Verfassung, und es gab nichts, was ich hätte tun können, damit es mir besser ging. Guru-ji war weg. Ich hatte einen Horror davor, auf die Toilette zu gehen, denn dort zuckte ich und zitterte und hinterließ blutige Streifen auf dem Porzellan. Pascal hatte aus Geschwüren am Mund geblutet, ich hatte Fotos von seinem Gesicht, seinen glasigen Augen gesehen. Ich verbrachte mehr und mehr Zeit im Computerraum, stellte die Jungs dazu an, mir bei meinen Recherchen zu Strahlung, Verbrennungen und Tod zu helfen. Ich hatte natürlich in der Zeitung gelesen, daß unser Land unglaubliche neue Waffen und die zu ihrem Einsatz erforderlichen Marschflugkörper besaß, doch mit Trumbay, Uran oder Nagasaki hatte ich mich bislang nicht befaßt. Ich lernte dazu, und ich lernte schnell. Ich unterhielt mich mit Jojo über das alles, über diese Gefahr auf der Welt, an unseren Grenzen.
    »Are, Gaitonde«, sagte sie. »Niemand wird diese Dinger abschießen. So verrückt ist doch keiner.«
    »Das weiß man nie. Vielleicht gibt es jemanden, der nicht verrückt ist und trotzdem eine abschießt. Vielleicht hat er seine Gründe.«
    »Was sollten das für Gründe sein, Gaitonde?«
    Sie war wirklich geduldig, diskutierte stundenlang mit mir, ohne zu fluchen oder den Hörer auf die Gabel zu knallen. Ich glaube, sie merkte, wie matt und müde ich war, und versuchte nett zu mir zu sein. Normalerweise hatte sie keinerlei Geduld, wenn es um Furcht oder Phantasien ging oder um das, was sie die großen Ängste der Männer nannte. Ich wollte ihr nichts von der schleichenden Panik erzählen, die mich befiel, wenn ich an Guru-ji, an das, was er uns womöglich hatte

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