Der Pate von Bombay
gefallen war, aus dem man nicht mehr herauskam. Alles, was man tat, war Teil eines verschlungenen Geflechts von Verbindungen, es hallte wider und verstärkte sich, es verschwand und tauchte wieder auf. Man versuchte ein paar Apradhis zu schnappen, und der Sohn eines Polizisten geriet auf die schiefe Bahn. Den Wirkungen des eigenen Tuns entging man nicht, sowenig wie der eigenen Verantwortung. So lief das. So war das Leben.
Rachel Mathias erwartete Sartaj auf dem Revier. Sie saß im Flur vor seinem Büro, am äußersten Ende einer Bank, neben einer Reihe teilnahmslos blickender Koli-Frauen. Sie schwitzte und fühlte sich sichtlich unwohl, doch als sie aufstand, war Sartaj beeindruckt vom eleganten Faltenwurf ihres blauen Saris und dem schlichten silbernen Armreif an ihrem rechten Handgelenk. Schmutz und Verwahrlosung auf dem Revier hatten ihr nicht das geringste anhaben können. Sie hielt sich sehr aufrecht und sah Sartaj gerade in die Augen.
»Wie lange warten Sie schon?« fragte er.
»Noch gar nicht lange. Das ist mein Sohn Thomas.«
Nach Thomas' mürrischem Gesichtsausdruck zu schließen, mußten sie schon mehrere Stunden dasein. »Kommen Sie rein«, sagte Sartaj, führte sie ins Büro und bat sie, Platz zu nehmen. Thomas flegelte sich auf einen Stuhl, setzte sich aber auf einen durchdringenden Blick seiner Mutter hin schnell wieder gerade. Ein etwa fünfzehnjähriger Jugendlicher, gutaussehend, selbstbewußt und muskulös. Die Jungen wurden heutzutage immer größer und kräftiger, und Thomas schien ein Frühentwickler zu sein.
»Noch mal zu unserem Gespräch von neulich«, sagte Rachel.
»Ja?« Sartaj wußte, daß sie Kamala nicht erpreßt hatte, aber irgend etwas hatte jeder verbrochen. Er hatte schon öfter erlebt, daß Menschen auf polizeilichen Druck Dinge gestanden, nach denen man gar nicht gefragt hatte.
»Thomas hat Ihnen etwas zu sagen.«
Thomas wollte nichts sagen, er sah zu Boden und hatte die Fäuste geballt, doch seine Mutter ließ nicht locker. »Thomas?« sagte sie.
Thomas' Kiefer mahlten, und er räusperte sich. »Also, das war so -«, setzte er an, dann verstummte er wieder. Errötend wischte er sich die Hände an seinen Jeans ab, und plötzlich tat er Sartaj leid. Er hatte einen mächtigen Bizeps und gegelte Haare, aber er war noch ein Kind.
»Vielleicht«, sagte Sartaj, »möchte Thomas lieber mit mir allein reden.«
Rachel nickte. »Ich warte draußen.«
Nachdem sie schwungvoll die Tür hinter sich geschlossen hatte, trommelte Sartaj mit den Fingern auf den Tisch, und schließlich schaffte Thomas es, den Blick zu heben. »Erzähl«, forderte Sartaj ihn auf.
»Also, wegen der Videokamera, Sir ... Es tut mir leid.«
»Was tut dir leid?«
»Daß ich das Video gedreht hab.«
Eine leichte Benommenheit erfaßte Sartaj. »Das Video. Aha.«
»Es war nicht meine Idee.« Stockend erzählte Thomas seine Geschichte. Es war Lalitas Idee gewesen. Laiita war seine Freundin, sie war ein Jahr älter als er, und sie waren seit einem Jahr zusammen. Als Thomas die Videokamera bekam, hatten sie alle ihre Freunde gefilmt, sie waren in der Stadt herumgegangen und hatten irgendwelche Leute auf der Straße gefilmt. Einige Tage hatten sie an einem Kurzfilm gearbeitet, zu dem Thomas das Drehbuch geschrieben hatte, dann war ihnen das zu langweilig geworden. Laiita wollte sich und Thomas zusammen in seinem Zimmer filmen. Und als die Kamera lief, hatten sie vergessen, daß sie lief.
»Vergessen?« fragte Sartaj.
»Ja.« Eine Zeitlang. Als sie wieder daran dachten, wollte Laiita sie nicht abschalten, und so sah man auf dem Film, wie sie sich küßten.
Sartaj rieb sich die Augen; Windmühlen drehten sich darin und verschwanden wieder. Er senkte die Hände, und Thomas war noch da, jung und gutaussehend mit seinem engen weißen T-Shirt und der schmalen Halskette. Er war noch da, unerklärlich und doch real und präsent. »Ihr habt euch nur geküßt?«
»Ja, wir waren die ganze Zeit angezogen.« Trotzdem war seine Mutter ausgerastet, als sie die Kamera zufällig einmal eingeschaltet und die beiden auf dem Monitor gesehen hatte. Auch ein paar Freunde von Thomas hatten das Video gesehen, mehr war nicht passiert, doch Rachel hatte die Kassette auf der Stelle vernichtet. Damit war der Fall erledigt gewesen, bis Sartaj aufgetaucht war und nach Videokameras gefragt hatte.
Sartaj mußte irgend etwas sagen, dem Jungen die Leviten lesen vielleicht, ihm Angst einjagen. Das Video war garantiert seine Idee gewesen und
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