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Der Pate von Bombay

Titel: Der Pate von Bombay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vikram Chandra
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Ich war sein Jünger, und ich wurde von seiner Liebe beschirmt. Mir konnte nichts passieren. Ich lachte mich selbst aus, tadelte mich für mein mangelndes Vertrauen und machte mich an die Arbeit. Doch schon bald übermannte mich wieder das Entsetzen, ich war von stinkenden Leichen ohne Haut umgeben und wurde von einem Wind drangsaliert, der durch meinen Kopf pfiff und nur Leere hinterließ.
    Und aus diesem Nichts kroch die Furcht hervor wie ein Wurm, der immer fetter wurde. Ich hatte Angst vor Mördern, die über das Wasser kommen würden. Arvind und Suhasini waren in Singapur ermordet worden, auf Bunty hatte man in Mumbai einen Anschlag verübt, viele andere waren ums Leben gekommen. Ich wußte, daß Suleiman Isa versuchte, mich umzubringen, und ich vermutete, daß Kulkarni und seine Organisation wollten, daß ich starb, und an manch einem Morgen kam mir der Gedanke, sie könnten ihre Operationen koordiniert haben. Doch unter diesen Ängsten lag immer noch jenes andere Gefühl, ein stilles Grauen, so intensiv wie das Blau einer Welle am Morgen. Nachmittags leckte es an dem funkelnden Glas der Bullaugen, wenn ich versuchte, ein Schläfchen zu halten, mein Gesicht in dem weißen Laken vergrub und den Weg ins Vergessen suchte. Essen schien mir eine Zeitverschwendung, es mit den Jungs zusammen einzunehmen eine ausgedehnte Pein, und Frauen verschafften mir keine Befriedigung. Ja, ich verwehrte Jungfrauen den Zugang zu meinem Bett, weil mir dieses eine lustvolle Erzittern am Ende die Anstrengung nicht wert schien, die dieser lächerliche Akt erforderte. Ich fühlte mich alt und leer. Ich brauchte Stunden, um einzuschlafen, und dann schlief ich nur leicht, von Träumen gemartert, in denen ich leere Einöden, brennende Städte sah. In den frühen Morgenstunden gelang es mir manchmal, von Mumbai zu träumen. In unruhigem Halbschlaf versetzte ich mich in seine Gassen, war wieder jung und glücklich. Ich durchlebte noch einmal meine Siege, mein mehrfaches knappes Entkommen, meine taktischen und strategischen Triumphe. Doch nicht nur diese großen Momente, diese historischen Marksteine, an die sich die ganze Stadt erinnerte - ich entsann mich auch belangloser Details, flüchtiger Unterhaltungen. Ein Neer Dosa, das ich mit Paritosh Shah an einem Udipi-Stand in der Nähe von Pune gegessen hatte, Kanta Bai, die auf einem leeren Karton Karten ausgab. Eine Carrom-Partie mit den Jungs auf dem Dach meines Hauses in Gopalmath, während die Stromleitungen auf den Dächern des Bastis im Monsunwind schaukelten. An diesen Morgen erwachte ich glücklich. Ich war mir sicher, daß alles in Ordnung war, daß kein Grund zur Sorge bestand.
    Hätte ich doch nur mit Guru-ji reden können. Ich konnte ihn nicht finden. Natürlich hatte ich meine Jungs beauftragt, ihn zu suchen, doch ich wußte, daß sie sich allmählich über diese Inanspruchnahme ihrer Zeit ärgerten, die sie lieber genutzt hätten, um Geld zu verdienen. Sie waren natürlich alle höflich und taten wie geheißen, doch ihr Einsatz hielt sich in Grenzen, und ihre ständigen Meldungen: »Nichts gefunden, Bhai«, übertünchten die Tatsache, daß sie nicht richtig gesucht hatten. Bunty war gerade erst aus dem Krankenhaus entlassen worden, lebendig, aber verkrüppelt, von der Hüfte abwärts gefühllos. Wir ließen ihm selbstverständlich die beste medizinische Versorgung zukommen. Ich telefonierte jeden Tag mit ihm, und er übernahm allmählich wieder Arbeit und Verantwortung, doch er hatte nicht die Energie, den Jungs Feuer unterm Hintern zu machen, damit sie sich wirklich engagierten. Daß ich ihnen nicht genau erklären konnte, warum wir Guru-ji suchten, machte die Sache nicht besser. Ich hatte nur meine Wahnvorstellungen, und ich wollte weder als verrückt dastehen noch eine Panik auslösen. Das Leben mußte weitergehen, die Arbeit ebenso, wir mußten Geld verdienen. Außerdem konnte ich meine Gründe nicht nennen, ohne meine Verbindung mit Guru-ji preiszugeben, ohne all das zu verraten, was ich so lange geheimgehalten hatte. Ich sagte bloß, daß wir Guru-ji finden mußten, mehr nicht. Doch die Mission erbrachte gar nichts, keinen Erfolg, nicht einmal eine Fährte.
    Also flog ich nach Bombay.
    Ich flog von Frankfurt aus, mit einem auf den Namen Partha Shirur ausgestellten, erstklassigen deutschen Ausweis, und kam problemlos durch Paßkontrolle und Zoll. Eine Stunde später saß ich in einem Bungalow in Lokhandwalla. Meine Legende war die eines in München lebenden indischen

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