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Der Pate von Bombay

Titel: Der Pate von Bombay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vikram Chandra
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Ein stechender Schmerz zuckte in seine Schulter hinauf, das Krachen von Knochen auf Knochen befriedigte ihn ungemein. Er schlug von neuem zu, der Sessel kippte um, Umesh fiel zu Boden. Sartaj ging um den Sessel herum und trat auf Umesh ein, sorgfältig gezielt, und der dritte Tritt beförderte Umesh auf den Rücken ein Anblick, bei dem Sartaj vor Freude das Blut in den Schläfen pochte. Er hörte ein Schreien. Eine weißhaarige Frau kauerte über Umesh, auf dem Teppich waren rote Flecke, Kamble umklammerte Sartajs Brust und seine Arme und zog ihn weg. Sartaj riß sich los, drehte sich um und schob sich durch ein Knäuel kreischender Frauen zur Tür, dann war er draußen. Er stand vor dem Haus auf der Straße und hielt die schmerzende Hand ins Licht: Ein blutender Riß zog sich über die Knöchel. Am liebsten hätte er auf irgend jemand anderen eingedroschen, auf irgend etwas, aber die Autos rauschten vorbei, und er konnte sich nur an der Kante einer bröckelnden Einfriedungsmauer festhalten und fluchen, was das Zeug hielt.

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    Ganesh Gaitonde
geht nach Hause

    » W enn es in einem Film passiert, wird es im normalen Leben nicht passieren«, hatte Jojo zu mir gesagt. Als ich ihr von meiner Angst vor Atombomben, Verbrennungen und einem tosenden Wind, der Gebäude umreißt, erzählte, meinte sie: »Das ist zu filmi.« Doch ich wußte es besser, ich wußte mehr. Ich hatte in zwei Dutzend Filmen Szenen aus meinem eigenen Leben gesehen, mal übertrieben, mal abgeschwächt, aber trotzdem immer wahr. Ich war filmi, und mich gab es in der Realität.
    Ich kannte Jojo seit Jahren, doch für sie war ich immer noch ein bißchen irreal. Ich war ihr Freund, aber ich war auch Ganesh Gaitonde, der Gangsterboß, der skrupellose internationale Khiladi, der Crorepati und Arabpati 027 , der in Palästen lebte. Für die überwältigende Mehrheit der Menschen existierten Gangster und Spione nur als Lichtgestalten, als glitzernde, flüchtige Vorstellungen, ein Zusammenspiel von Elektronik und Zelluloid. Aber mich hatte mein eigenes Leben gelehrt, daß die Menschen das, was ihnen vorstellbar ist, auch realisieren können. Und deshalb hatte ich grauenhafte Angst.
    Ich sagte mir jeden Morgen, daß ich keinen Grund hatte, mich zu fürchten. Vielleicht waren Gaston und Pascal und die anderen ja im Hafen oder sonstwo versehentlich mit radioaktivem Material in Berührung gekommen. Es wurde alles mögliche Material transportiert, manches davon für Regierungsorganisationen. Vielleicht hatte irgend etwas auf dem Weg zu einem der großen Atomkraftwerke radioaktive Strahlung abgegeben. Und selbst wenn wir tatsächlich gesundheitsgefährdendes Material auf dem Boot hergeschafft hatten, konnte es sich auch im Innern eines der Geräte für die landwirtschaftlichen Arbeiten befunden haben, die Guru-ji durchführen ließ. Ja, so mußte es sein. Auf jeden Fall war es ein Unfall gewesen. Warum aber hatte ich dann solche Angst? Das war völlig überflüssig. Vielleicht lebte ich schon so lange mit der Angst vor meinem eigenen Tod, daß diese sich selbst gespeist hatte, immer größer und massiver geworden war und ich nun diese monströse Furcht in mir hatte, dieses lauernde, giftige Etwas, das den Tod der ganzen Welt prophezeite.
    Doch alles würde gut werden. Guru-ji würde von seiner geheimen Meditation, seiner Reise oder seinem Yagna, was immer es eben war, zurückkommen und mir ganz genau erklären, was mit Gaston und Pascal geschehen war, und damit würde die Sache erledigt sein. Er würde mich beruhigen, und mein Leben würde wieder in den gewohnten Bahnen verlaufen. Ich rief mir all unsere Gespräche in Erinnerung, bemühte mich, unsere gemeinsame Geschichte nachzuvollziehen. Ich holte die Ordner hervor, in denen ich seine Pravachans abgeheftet hatte, und las diese erneut, und wieder faszinierte mich seine Weisheit, besänftigte mich sein Mitgefühl. Ich sah mir Videos von seinen Vorträgen an und weinte. Ich klickte stundenlang auf Guru-jis Website herum, las die zahllosen Zeugnisse seiner Jünger und betrachtete die glücklichen Gesichter jener, die er aus Verzweiflung, Wahnsinn und Krankheit errettet hatte. Jeden Morgen hatte ich das Gefühl, daß alles gut werden würde, daß ein Mann, der sich so vieler Menschen annahm - verwaister Kinder, notleidender Frauen, der Alten und Verlassenen - ein dharmischer Mann sein mußte. Wenn Guru-ji Waffen ins Land bringen ließ, dann um die Moral zu verteidigen, das Gute zu stärken und das Böse abzuwehren.

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