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Der Pate von Bombay

Titel: Der Pate von Bombay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vikram Chandra
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Aktien und darüber, wer inzwischen tot war und wer noch lebte. Es war ein wichtiges und notwendiges Gespräch, doch während wir tratschten und scherzten und theoretisierten, wurde mir bewußt, daß nicht das Gespräch das Entscheidende war, sondern der Anblick der paanverfärbten Zähne dieses treuen kleinen Gaandus, die Möglichkeit, ihm auf die Schulter zu klopfen. Man kann sich die Laute anhören, die aus einem Telefon kommen, doch das ist einfach nicht die echte Stimme eines Mannes. Es war gut, neben ihm zu sitzen und mit ihm zu reden, bis die Vögel ihr morgendliches Gelärme anstimmten. Es war wie in alten Zeiten.
    Nachdem er mit mir gefrühstückt hatte, verabschiedete er sich. Ich begleitete ihn hinunter ans Gartentor und sah zu, wie er munter über eine einklappbare Rampe in den hinteren Teil seines Transporters fuhr. Er drehte seinen Rollstuhl um die eigene Achse, so daß er nach vorn schaute, und hob eine Hand, um mir zuzuwinken. Ich hob ebenfalls die Hand und staunte noch einmal über den Rollstuhl und über den Elan, mit dem Bunty gelernt hatte, auf so engem Raum zu manövrieren. Der Transporter fuhr in einer Staubwolke los - immer dieser Staub in dieser Stadt, und schon morgens der schmierige, verdreckte Schweiß. Ich ging wieder ins Haus. Ich war müde, doch ich hatte ein gutes Gefühl, denn ich war Ganesh Gaitonde, und Männer opferten ihre Gliedmaßen und ihre Potenz für mich, sie ertrugen Schmerz und Lähmung und boten mir - selbst angesichts der peinlichen Notwendigkeit, in einen Plastikbeutel zu pissen - dennoch an, weiter für mich zu arbeiten. Sie arbeiteten gern für mich, waren gern meine Jungs. Eine Uhr von mir bedeutete ihnen soviel wie ein Orden vom Präsidenten. Ja, ich würde Guru-ji finden. Er konnte mir nicht entkommen. Dies war meine Stadt, und dieses Land gehörte mir. Ich hatte die nötigen Waffen und das Geld, und ich würde ihn finden. Ich zog die Vorhänge zu, um das grelle Licht auszuschließen, drehte die Klimaanlage hoch und ging schlafen.

    Buntys Jungs hatten mich nicht erkannt, und ich hatte keine Probleme, den Rest der Company in dem Glauben zu lassen, daß ich immer noch auf fremden Gewässern unterwegs war. Doch Jojo, diese clevere Kutiya, war von Anfang an mißtrauisch. Ich rief sie gleich am ersten Nachmittag an, und noch bevor ich hallo sagen konnte, beharkte sie mich.
    »Gaitonde«, sagte sie. »Was ist passiert?«
    »Nichts ist passiert. Warum sollte etwas passiert sein?«
    »Du rufst mich nie so früh am Nachmittag an.«
    »Ich habe heute Zeit, und deshalb habe ich beschlossen, dich anzurufen. Willst du mich jetzt strafrechtlich verfolgen lassen?«
    Sie schwieg, aber nur für einen Augenblick. Dann konnte ich ihre Stimme wieder vernehmen, gefährlich sanft. »Und wo bist du, Gaitonde?«
    »Wo soll ich sein? In meinem Zimmer. Zu Hause.«
    »Aber wo?«
    »Warum willst du das wissen?«
    »Ich frage nur. Einfach so.«
    »Du hast in deinem ganzen Leben noch nie etwas einfach so‹ getan.«
    »Also, wo bist du?«
    »In Kuala Lumpur.«
    Draußen fuhr ein Auto um die Ecke.
    »Das klingt genau wie ein Ambassador. Fährt man in Kuala Lumpur Ambassadors?«
    Diese Jojo - man hätte eine Spionin aus ihr machen sollen. Sie hatte völlig recht, gerade war vor dem Gartentor ein Ambassador um die Ecke gebogen, und jetzt fuhr er klappernd die Straße hinunter. »Das ist ein japanischer Jeep, du Schwachkopf«, sagte ich.
    »Soso, die Japaner bauen also neuerdings scheppernde Khataras. Na gut. Aber klingen malaysische Vögel so? Und spielen die Kinder dort auch Kricket?«
    Ich befand mich in einem exklusiven, teuren Bungalow, aber der Geräuschkulisse entkam ich natürlich nicht. Man hörte die Krähen, das Kricketspiel ganz in der Nähe und die Arbeiter auf der Baustelle zwei Straßen weiter, die einander dies und das auf Telugu zuriefen. Außerdem lief irgendwo Filmi-Musik im Radio, allerdings weit weg, also sehr leise. Ich hielt die Hand über die Sprechmuschel und stellte mich in eine Zimmerecke. »In diesem Gebäude wohnen haufenweise Inder«, sagte ich. »Streite nicht mit mir herum. Dazu bin ich wirklich nicht in der Stimmung.«
    »Ist ja gut, Gaitonde, ist ja gut. Und, was macht das Leben?«
    Was machte mein Leben? Ich fühlte mich alt, war allein und hatte Angst. »Alles bestens«, sagte ich. »Erste Güte. Und wie steht's bei dir?«
    Sie berichtete mir von ihrem Leben: von ihren Problemen mit Mädchen, die meinten, ihnen stehe mehr Geld zu, als sie tatsächlich wert waren,

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