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Der Pate von Bombay

Titel: Der Pate von Bombay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vikram Chandra
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erschaffen wollte.
    Doch die Gegenwart leistete Widerstand. In Coimbatore war nicht weit vom Osttor des Ashrams eines Morgens ein uralter Banyan-Baum umgestürzt und hatte elf Meter des Zauns eingerissen, so daß eine Herde Ziegen eindringen konnte, die sich durch drei Rosengärten gefressen hatte, ehe sie zusammengetrieben und hinausgejagt wurde. In Chandigarh gab es einen Sexskandal, in den ein ranghoher Sadhu, drei jugendliche Anhängerinnen Guru-jis und ein leitender Beamter der örtlichen Polizei verwickelt waren. In Allepy sah ich mit eigenen Augen den Zustand der Verwaltungsräume, die unter einem hartnäckigen Befall von Termiten und roten Ameisen litten. Vor allem aber hatte unsere Behandlung des hochmütigen Anand Prasad und seines Niederländers einen Machtkampf innerhalb der Hierarchie von Guru-jis Organisation ausgelöst. In der Asian Age war die Schlagzeile zu lesen: »Brutaler Doppelmord während geheimnisvoller Abwesenheit von Guru«, und es wurde gemutmaßt, Anand Prasad sei von einer Clique rebellischer Sadhus ermordet worden. In den Ashrams tauchten jetzt professionelle Wachleute auf, und die Sicherheitsvorkehrungen wurden noch strenger. Wir hörten Gerüchte über Streitereien und Handgreiflichkeiten zwischen den führenden Kandidaten für Anand Prasads Nachfolge. Die Asian Age hatte die Wahrheit zur Hälfte getroffen: An Anand Prasads Hinrichtung traf die Sadhus keine Schuld, doch es gab tatsächlich heftige Auseinandersetzungen und Machtkämpfe innerhalb der Organisation. Keiner der Sadhus wußte, wer wir waren, und so hielt jede Gruppe meinen auf- und wieder untertauchenden Suchtrupp für eine Bande Gundas, die von einer der anderen Fraktionen angeheuert worden war, und alle beschuldigten sich gegenseitig des Mordes. Wir betrieben unsere Nachforschungen weiter, mal mit Hilfe von Geld, mal mit Hilfe von Einschüchterungsmaßnahmen. Wir töteten niemanden mehr, doch in Bangalore mußten wir einem Computerprogrammierer den Arm brechen, damit uns seine Kollegin - die auch seine Freundin war - das Paßwort zu einem E-Mail-Programm verriet. Und so ging es weiter.
    Wir fanden nichts. Es gab jede Menge Gerüchte, was mit Guru-ji geschehen war. Manche glaubten wirklich, er habe sich in Samadhi 552 begeben, wenn auch nur vorübergehend, andere meinten, er sei an Krebs erkrankt und liege im Sterben. Jeder hatte irgend etwas zu sagen, aber niemand konnte uns auch nur den Ansatz einer verläßlichen Information liefern. Meine Jungs wurden kleinmütig. Das viele Reisen war anstrengend, sie machten keinen Gewinn, und hatten seit Wochen ihre Frauen und Chawis nicht mehr gesehen. Die Jungs in Mumbai klagten jedesmal, wenn wir anriefen, über den von der Polizei ausgeübten Druck, und unsere Scharfschützen und Spezialisten wurden mit einer beängstigenden Regelmäßigkeit zur Strecke gebracht. Als Nikhil dann auch noch von seinem ganz speziellen stinkenden Chaos heimgesucht wurde, veranlaßte ich die einwöchige Auszeit in Cochin. Ich sagte den Jungs, sie möchten sich ausruhen, wir seien fast am Ziel. Doch langsam glaubte ich selbst, daß wir Guru-ji niemals finden würden, daß er mir doch entkommen war.
    Nach zehn Tagen in Cochin hatte Nikhil seine Krankheit endlich abgeschüttelt. Er hatte geschlagene fünf Kilo abgenommen und sah fix und fertig aus. An diesem Tag fand im Ort ein Festzug statt. Wir saßen auf dem Balkon im zweiten Stock unseres Bungalows und schauten uns die endlose Parade von Tableaus und lautstark nachgespielten Szenen an. Ein Elefant kam vorbei, ein echter mit goldenem Kopfschmuck. Ihm folgte eine Gruppe Männer mit pinkfarbenen Seidenkleidchen, falschen Brüsten und grellbuntem Makeup. Dann kam ein Lastwagen, auf dessen Ladefläche die Produkte und Menschen von Kerala dargestellt wurden, darunter ein Hindu, ein Moslem, ein Christ, ein Jude und eine blonde Touristin auf einem Liegestuhl. Etwas später, auf einem anderen Laster, sahen wir eine Szene aus dem Mahabharata, bei der die Helden glänzende Rüstungen trugen und zu Diskomusik tanzten. Meine Jungs waren irgendwo da draußen, unter den Tausenden von Zuschauern. Nikhil nippte an einem Bier, und ich trank Ananassaft, während wir dem Spektakel zuschauten.
    »Bhai«, sagte er. »Ich will Sie nicht ausfragen oder so, aber ich denke einfach an die Jungs. Die werden nämlich langsam unruhig. Warum suchen wir diesen Guru-ji eigentlich so verzweifelt?«
    »Das soll kein Ausfragen sein?«
    »Es ist nicht respektlos gemeint, Bhai. Wissen

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