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Der Pate von Bombay

Titel: Der Pate von Bombay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vikram Chandra
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Sie, Bunty hat mir erzählt, sie hätten immer zu ihm gesagt, daß die Kampfmoral sehr wichtig ist. Und die Jungs ...«
    »Ist deine Moral denn auch schon im Keller? Vermißt du deine Frau so sehr?«
    »Ich vermisse die Kinder, Bhai. Und dann das Geschäftliche ... Solange wir hier sind, können wir uns nicht aufs Geschäft konzentrieren.«
    Ich hatte ihnen nichts gesagt, doch jetzt erkannte ich, daß vielleicht ein paar Worte der Erklärung angebracht waren. Wenn Nikhil, der mir alles verdankte, bereit war, mir diese Dinge ins Gesicht zu sagen, dann war es wirklich an der Zeit, etwas für die Moral zu tun. »Okay«, sagte ich. »Hör mir genau zu. Ich sage das nur einmal.« Auf dem Lastwagen, der jetzt unter uns vorbeifuhr, tanzten Eingeborene im Kreis um ein Feuer, das aus einem roten Scheinwerfer und flatternden roten Bändern bestand. Sie trugen Sonnenbrillen. Ich sagte: »Viel kann ich dir nicht sagen, aber immerhin soviel: Wir suchen diesen Guru-ji einzig und allein aus geschäftlichen Gründen. Er hat uns beschissen. Er hat ein Doppelspiel mit uns getrieben.«
    »Schuldet er uns Geld?«
    »Ja. Einen Haufen Geld. Er hat uns verraten.«
    »Dieser Dreckskerl«, sagte Nikhil. Er schien zufrieden. Jetzt verstand er mich wieder, mich und die Welt. »Dann müssen wir ihn finden.«
    »Sag den Jungs, daß ihr Lohn für die Dauer dieser Mission verdoppelt wird. Und am Ende gibt es noch einen Sonderzuschlag.«
    Das verbesserte seine Laune noch einmal ganz erheblich. Ich ließ ihn auf dem Balkon sitzen und ging in mein Zimmer. Ich stellte die Klimaanlage auf die höchste Stufe und legte mich im Dunkeln aufs Bett. Nikhil würde bald seine Frau anrufen und mit seinen Kindern reden. Ich erwog, Jojo anzurufen, doch ich fühlte mich zu erschöpft. Seit ich in Indien war, litt ich unter Schlafstörungen. Zuerst hatte ich gedacht, es liege am Jetlag, am Ortswechsel, am Hundegebell, am Grillenzirpen. Doch auch nach einer Woche wachte ich nachts immer wieder auf. In drei aufeinanderfolgenden Nächten betäubte ich mich mit Schlaftabletten und erwachte jeden Morgen noch zerschlagener als zuvor. Inzwischen waren Wochen verstrichen, und ich taumelte schwerelos wie ein Gespenst durch den Tag. Nikhil hatte es nicht gesagt, aber ich wußte, daß er sich auch um mich Sorgen machte. Manchmal schlief ich tagsüber im Sitzen ein, während eines geschäftlichen Telefonats mit Mumbai oder wenn ich nach dem Mittagessen auf den Nachtisch wartete. Und ich erwachte jedesmal verstört, von dem gleichen Traum terrorisiert, den gleichen Bildern von Asche und Finsternis. Ich mußte mich sehr anstrengen, um mich auf Geldsummen, taktische Probleme und Führungsfragen zu konzentrieren.
    Ich brauchte dringend Schlaf, doch in dieser Nacht war natürlich nicht daran zu denken. Selbst über das Dröhnen der Klimaanlage hinweg donnerte mir die Musik in die Ohren. Drei, vielleicht sogar vier Lieder in verschiedenen Sprachen spielten gegeneinander an und verschmolzen manchmal zu einem unerträglichen, wummernden Getöse. Darunter lag das Stimmengewirr der Menge, das hin und wieder zu fröhlichem Gebrüll anschwoll. Ich verfluchte sie, diese Lakhs und Crores wimmelnder, das Land übervölkernder indischer Dreckskerle. In diesem Moment wünschte ich mir, sie hätten einen einzigen gemeinsamen Kopf, damit ich sie alle auf einmal erschießen konnte. Aber nein, es gab keine Stille für mich. Wie viele Menschen hatte ich erschossen? Nicht so viele, wie hier versammelt waren. Selbst wenn ich in jeder Sekunde meines restlichen Lebens einen Menschen erschoß, würden immer noch Unmengen übrigbleiben, die mir mit ihren plärrenden Stimmen, ihrer quäkenden Freude gegen den Schädel hämmern konnten. Sie waren so zahlreich wie die silbernen Stäubchen in dem gelben Lichtstreifen, der vom Fenster über meinen Kopf hinweg ins Zimmer fiel. Man konnte ihnen nicht entrinnen.
    Warum roch es im Zimmer nach Mogra 424 ? Das war das Attar 035 , das Salim Kaka verwendet hatte, das er auch in jener Nacht trug, als ich ihn wegen seines Goldes tötete, das er sich aus einer grünen Glasflasche über Bart und Brust zu sprühen pflegte, bevor er sich mit einer seiner Frauen traf. Ich erinnerte mich, wie er den Kopf nach hinten gebeugt und die Flasche über seinem Hals geschüttelt hatte, und an den schweren öligen Geruch des Attar. Und an seine rasierten Achseln, das Rosa seines Zahnfleischs, seine riesigen weißen Zähne.
    Türen und Fenster waren verschlossen, und es gab keine

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