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Der Pate von Bombay

Titel: Der Pate von Bombay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vikram Chandra
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ungebildeten Schäfern Wasser injiziert. Es war überall in Indien das gleiche - wir begegneten Bauern, die mit Handys telefonierten, aber ihre Töchter oder Söhne ermordeten, weil diese sich bei der Wahl ihrer Partner über Kastenschranken hinwegsetzten. Wir kauften in Flaschen abgefülltes Mineralwasser von grindigen, barfüßigen Chokras, deren Arme von Ringelflechte bedeckt waren. Nikhil hatte sich Abend für Abend über die schlechten Telefonverbindungen beschwert, wenn er versuchte, sich mit seinem Laptop ins Netz einzuwählen und seine E-Mail abzurufen, und in Coimbatore hatte schließlich eine nicht geerdete Steckdose seinem schicken Sony Vaio den Garaus gemacht. Und jetzt mußte er zwölfmal am Tag scheißen und sagte, er habe furchtbare Angst, daß das so lange so weitergehen werde, bis er auf diesem bhenchod weißen Thron in dieser maderchod Malyali-Stadt in dieser harami Jauchegrube von einem Land abgekratzt sei.
    Selbst in Guru-jis Ashrams herrschte Konfusion. Ich hatte es mit eigenen Augen gesehen. Das Chaos sickerte trotz der Stahlzäune, der blauen Tore, der schützenden Mantras ein.
    Die Ashrams waren im ganzen Land nach demselben Prinzip angelegt. Ob groß oder klein, in der Stadt oder auf dem Land, jeder Ashram hatte dieselbe Nord-Süd-Ausrichtung und die gleichen blauen Tore. Die Gebäude und Abstände waren mal größer, mal kleiner, doch der Grundriß war immer exakt derselbe. Nachdem wir einige Ashrams besucht hatten, fanden wir uns problemlos darin zurecht, wir wußten, daß das erste Gebäude links des Haupteingangs der Kunstgewerbeladen war, daß die Wäscherei immer in der nordwestlichen Ecke versteckt lag. Und immer, immer stand in der Mitte die Pyramide, das heiligste, mächtigste Gebäude, das Hauptquartier. Während wir von einem identischen Ashram zum nächsten fuhren, auf der Suche nach Hinweisen auf Guru-jis Verbleib, begann ich den Sinn dieser Gestaltung, die Bedeutung dieses Grundrisses zu verstehen. Mir war, als unterhielte ich mich mit Guru-ji, wenn ich diese Stätten betrachtete, die seinem Denken entsprungen waren, ein Produkt seines tiefen Einblicks und seiner Vorstellungskraft. Die ganze Anlage war stets um die marmorne Pyramide zentriert, die unseren alten indischen Tempeln ähnelte und doch anders war. Dieses völlig bilderlose Gebäude war der Ort des Geistes und dessen, was jenseits des Geistes lag. Hier hatten Verwaltung und Meditation, Dharma und Moksha ihren Platz. Fern dieses Mittelpunkts, ganz am Rand, lagen die Wirtschaftsgebäude und Generatorenanlagen, die öffentlichen Toiletten, die Kunstpavillons. Dazwischen lagen die Schulen für die Kinder, die Schlafräume für die verheirateten Paare, die medizinischen Einrichtungen und die Medienräume. Näher am Zentrum, abgerückt von den Gebäuden, in denen die Laien frei ein und aus gehen konnten, befanden sich, ringförmig angeordnet, die Wohnungen, Viharas 660 und Hallen der Sadhus, jener, die der Welt entsagt hatten. Sie bildeten einen perfekten Kreis um die weiße Pyramide, jenseits der nur noch die Befreiung lag.
    Ich erkannte die innere Logik, den Aufbau des Ashrams, diese Bewegung von außen nach innen. Das Verhältnis zwischen den Punkten und Winkeln, die Architektur dieser Bauten entsprachen der Geometrie der Zeit und des Lebens. Ich hatte Guru-ji oft über die Zeitalter des Menschen sprechen hören, über die korrekte Zuordnung der Kasten und Gruppen, den Platz der Frau in einer gerechten Gesellschaft, die Kindererziehung, und hier in diesen Ashrams war all dies deutlich sichtbar angelegt. Die Ordnung entsprach der Ordnung von Guru-jis Denken. Diese Anlagen zu lesen war so ähnlich, wie einer seiner Unterweisungen zuzuhören. Ich hatte seine Vision jetzt glasklar vor Augen, seine Vorstellung, wie das Land und schließlich die ganze Welt einmal werden sollten. Er wollte ganz Indien verwandeln, es zu diesem gartengrünen Frieden, zur Perfektion erheben. In Teilen Singapurs herrschte die Sauberkeit, die er wollte, doch keine Stadt auf dieser Erde besaß diese Symmetrie, die Stimmigkeit, mit der sich hier Läden und Meditationszentren die Balance hielten, die Torbögen von Wäscherei und Bibliothek lagen exakt auf einer Linie, die auf den zentralen Tempel zu führte. Diese Gebäude und die blauen Tore sahen aus wie die Vergangenheit, wie die goldenen Kulissen der Fernsehserien über mythische Zeiten, doch sie stellten Guru-jis Zukunft dar. Dies war das Morgen, zu dem er uns geleiten, das Satyug 569 , das er

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