Der Pate von Bombay
einfaches Leben gehabt. Sie hatte ihre Füße mit Lotions zu pflegen versucht, aber durch ihr vieles Gehen war die Haut spröde geworden. All die Mühe, und dann dies. Durch einen Freund ein so plötzliches Ende zu finden. Aber das, dachte ich, ist die eine Entscheidung, die wir treffen können. Du kannst den Gang der Dinge nicht aufhalten, hatte Guru-ji gesagt, du kannst dich selbst nicht aufhalten.
Doch, das kann ich. Das ist das einzige und letzte, was mir zu tun offensteht. Darin kann ich sogar über Sie siegen, Guru-ji. Ich kann mich selbst, kann den Gang meines Lebens aufhalten.
Okay, Jojo. Okay. Ich setzte mich auf. Wo war die Pistole? Hier. Geladen und schußbereit. Eine Kugel, mehr brauchte es nicht. Ich wollte Jojo nicht ins Gesicht sehen. Den Blick auf ihre Füße geheftet, drehte ich mich um, bis ich mich an der Wand anlehnen konnte. Okay.
Ich konnte es nicht. Noch nicht. Noch nicht. Aber warum nicht? Ich wollte es tun. Ich hatte keine Angst, im Gegenteil. Vielleicht wartete Jojo auf der anderen Seite auf mich. Vielleicht würde sie mich beschimpfen und mich schlagen, aber schließlich und endlich würde sie mich verstehen. Ich würde mit ihr reden, und sie würde mich verstehen, so wie sie mich immer verstanden hatte. Es brauchte nur die richtigen Worte und etwas Zeit. Auch ich würde sie beschimpfen, weil sie mich verraten und angelogen hatte. Aber schließlich würde ich ihr verzeihen. Wir würden einander verzeihen. Und dennoch konnte ich es noch nicht tun, mir die Pistole in den Mund stecken. Warum nicht? Weil - ganz einfach deshalb: Was würden die Leute hinterher über mich sagen? Würden sie sagen, Ganesh Gaitonde ist in einem geheimen Raum verrückt geworden und hat eine Frau und sich selbst umgebracht? Würden sie sagen, er war ein feiger, schwacher Mann? Wenn ich ihnen nicht alles erklärte, würden sie es nicht verstehen. Sie würden Gerüchte und Lügen verbreiten, Motive erfinden und über Gründe spekulieren.
Doch wer würde mir zuhören? Jojo war tot, und Guru-ji war nicht da. Ich konnte natürlich einen beliebigen Reporter anrufen, und er würde herkommen, so schnell ihn seine Füße trugen. Aber Reporter waren abgefeimte Bhenchods, sie wollten Schlagzeilen und Action, Storys und Skandale. Es gab da so einen Typen beim Mumbai Mirror, der sehr gut war, aber selbst der würde nur Ganesh Gaitonde, den Mafiaboß und internationalen Ganoven in mir sehen. Nein, es mußte ein einfacher, guter Mensch sein. Jemand, der mir zuhören würde, so wie ein Mann auf einem Bahnsteig während der ein, zwei Stunden, bis der Zug schließlich kommt, einem anderen zuhört, voller Freundlichkeit und Anteilnahme. Jemand, der nicht nur Ganesh Gaitonde, sondern einen Menschen in mir sah.
Und da fielen Sie mir ein, Sartaj Singh. Ich erinnerte mich an das erste Mal, daß ich Guru-ji persönlich gegenübergesessen hatte. Mir fiel ein, wie Sie mir zu dieser ersten Begegnung verholfen hatten, wie Sie mit mir geredet und mich - an jenem letzten Tag - hineingebracht hatten, zu meinem Schicksal. Ich erinnerte mich an diese in jedem Fall ungewöhnliche, bei einem Polizisten jedoch unfaßbare Großzügigkeit. In Ihrem Blick, Sartaj, und in Ihrem stolzen Gang liegt die Grausamkeit des Polizisten, aber unter Ihrer gesuchten Gleichgültigkeit verbirgt sich ein gefühlvoller Mann. Mochten Sie auch der geschniegelte Sardar-ji sein, so waren Sie doch von mir angerührt. Unsere Lebenswege hatten sich gekreuzt, und meiner hatte sich für immer verändert.
Ich wußte also, was ich zu tun hatte. Ich stand unverzüglich auf, ging an meinen Schreibtisch und tätigte ein paar Anrufe. Eine Viertelstunde später hatte ich Ihre Privatnummer. Ich rief an und hörte Ihr verschlafenes Gemurmel. Und ich fragte: »Wollen Sie Ganesh Gaitonde?«
Sie kamen. Ich betrachtete Sie, während Sie forschend zu der Kamera aufblickten. Sie waren älter geworden, härter, aber immer noch derselbe Mann. Und ich erzählte Ihnen, was mit Ganesh Gaitonde geschehen war.
Aber Sie haben sich nicht alles angehört, Sartaj. Auch Sie sind nicht frei von Ehrgeiz. Sie wollen mich festnehmen, meine Verhaftung auf die Liste Ihrer Triumphe setzen. Sie haben sich vor die Stahltür des Bunkers gesetzt und mir zugehört, aber Sie haben einen Bulldozer angefordert. Jetzt haben Sie die Tür durchbrochen, und der zweite Monitor zu meiner Rechten zeigt, wie Sie sich vorwärts schleichen, die Pistole im Anschlag. Sie kommen herein. Ich rede noch immer, aber Sie hören mir
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