Der Pate von Bombay
nicht mehr zu. Ihre Augen funkeln. Sie wollen mich kriegen, Sie und Ihre Scharfschützen. Ich habe einen Wirbelwind von Erinnerungen im Kopf, eine Gemengelage lädierter Körper und Gesichter. Sie schwirren durcheinander, ich weiß, was sie verbindet und was sie trennt. Hören Sie mir zu. Wenn Sie Ganesh Gaitonde wollen, müssen Sie mich erzählen lassen. Sonst wird Ihnen Ganesh Gaitonde entschlüpfen, so wie er noch jedem entschlüpft ist, noch dem letzten Mörder. Selbst mir wäre Ganesh Gaitonde fast entschlüpft. Jetzt, in dieser letzten Stunde, ist er mir sicher, ich weiß, wer er war und zu wem er geworden ist. Hören Sie mir zu, Sie müssen mir zuhören. Aber Sie sind jetzt im Bunker. Ich habe die Falltür für Sie entriegelt. Unter jedem Ihrer Schritte sehe ich Dutzende meiner Jahre verstreichen. Ich sehe jetzt alles auf einmal, vom allerersten Anfang bis zu dem ersten Haus, das ich mir baute, meinem ersten Zuhause in Gopalmath, sehe alles, von einem Dorftempel bis nach Bangkok. Aber Sie sind schon drinnen, in diesem Bunker.
Hier ist die Pistole. Der Lauf paßt genau in meinen Mund. Ich stelle mir vor, was Jojo sagen würde: Du Dreckskerl, du hast wohl Angst, oder wie? Soll ich es für dich tun?
Nein, Jojo. Ich habe keine Angst.
Sartaj, wissen Sie, warum ich das tue? Ich tue es aus Liebe. Ich tue es, weil ich weiß, wer ich bin.
Bas. Es reicht.
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P arulkar kam spät am nächsten Morgen. Sartaj saß auf der Bank vor seinem Büro und beobachtete ein Spatzenquartett, das zwischen den Dachbalken hindurch und um die Säulen flatterte. Die Vögel flogen von einer Seite des Korridors auf die andere, dann in den Hof hinaus und auf die hintere Mauer. Gleich darauf kamen sie wieder zurück. Einer von ihnen beschrieb langsam einen Kreis und setzte sich auf das Ende der Bank, sein Kopf senkte sich und fuhr wieder hoch. Er - oder sie? - plusterte sich auf, hüpfte nach links und blitzte Sartaj aus seinen schwarzen Stecknadelaugen an. Dann war er weg. Sie nehmen sich in acht vor uns, dachte Sartaj, aber sonst sind wir ihnen egal. Unsere Tragödien interessieren sie nicht. Es war eine seltsam beruhigende Vorstellung. Dieser Mistkerl Ganesh Gaitonde hatte sich in einem weißen Bunker den halben Kopf weggepustet, in Bombay gab es möglicherweise eine Bombe - na und? Das Leben würde weitergehen. Sartaj versuchte sich auf diesen Gedanken und auf die Spatzen zu konzentrieren, die jetzt auf dem Boden landeten und wieder aufflatterten.
Parulkars Assistent trat, mit einem Stapel Dokumente in der Hand, aus der Tür links von Sartaj. »Saabs Eskorte hat gefunkt, daß sie in zwanzig Minuten da sind.«
»Gut, Sardesai-saab«, sagte Sartaj. »Ich warte hier.«
Sardesai nickte und ging die Treppe hinunter. Parulkar hatte an diesem Tag jede Menge Termine. Eine lange Schlange von Leuten wartete auf der anderen Seite der Treppe, und Sartaj war unbekümmert an ihr vorbeigegangen. Er hatte Parulkar am Morgen zu Hause angerufen, zu einer Zeit, da Parulkar mit seinen Papieren und seinem Chai im Lehnstuhl zu sitzen pflegte, und er hatte sich auf ihre alte Bekanntschaft berufen, um schnell einen Termin zu bekommen. »Es ist sehr dringend, Saab«, hatte er gesagt. Und nun saß er hier und würde als erster drankommen. Er versuchte seine Technik der Einsatzbereitschaft anzuwenden, die im wesentlichen darin bestand, nicht an unmittelbar Bevorstehendes zu denken. Wie schlimm konnte es schon werden? Er hatte Verdächtige und Apradhis angelogen, seine Eltern, Megha, andere Frauen, sich selbst, seine Vorgesetzten, Journalisten, viele Polizisten. Er war ein Meisterlügner, ein echtes Talent. Parulkar aber hatte er noch nie belogen. Er war angespannt deswegen, denn Parulkar würde seine Nervosität sofort spüren. Parulkar war der Guru, von dem er gelernt hatte, wie er lügen mußte und wann er lügen mußte. Parulkar hatte ihm das Handwerk beigebracht. Würde er Sartajs Zögern, seinen Übereifer bemerken? So ertappt man einen Verdächtigen bei einer Lüge, hatte er einmal gesagt: Man achtet nicht nur auf Widersprüche, sondern auch darauf, ob die Geschichte jedesmal, wenn er sie erzählt, ganz ähnlich klingt, ob die Sprache dieselbe ist, ob er sie einstudiert hat. Sartaj hatte erlebt, wie Parulkar hartgesottene Männer binnen einer halben Stunde zum Weinen brachte.
Die vier Spatzen saßen jetzt in einer Reihe auf einer durchhängenden Stromleitung über den Säulen und wippten mit den Schwänzen in Sartajs Richtung. Ganz
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