Der Pate von Bombay
ruhig, sagte Sartaj zu sich selbst. Mach dir nicht zu viele Gedanken. Er schüttelte seine Arme aus und lockerte die Schultern. Es ist ein Job, weiter nichts. Denk an was anderes. Und er dachte an Mary, an ihre kleinen Hände und die Spuren ihres Alters um die Knöchel. Zärtlichkeit wallte in ihm auf und brachte eine lebendige Erinnerung daran zurück, wie sie sich geliebt hatten, wie sie gestöhnt hatte, als er in sie eindrang. Doch dann bekam er wieder Angst: Warum wollte sie die Stadt nicht verlassen? Sie war so stur in ihrem Fatalismus. Und auch vor dem Gespräch mit Parulkar fürchtete er sich wieder. Parulkar mußte wie jeder höhere Beamte alles über den Alarm aus Delhi wissen. Er würde wachsam sein, skeptisch und schwer zu täuschen. Die Angst pochte in Sartajs Adern und hinter seiner Stirn. Er fühlte sich schwach und unfähig.
Doch Parulkar war in Hochform, als er, gefolgt von drei Bodyguards, die Treppe heraufgesprungen kam. »Sartaj Singh«, dröhnte er, »komm rein, komm rein.« Er ging Sartaj in seine Kabine voraus, bestellte zwei Tassen Chai, stark und mit Ingwer, und ließ die bodenlangen Vorhänge hinten im Raum zurückziehen, so daß sie auf den Garten hinausblicken konnten, den er in den Jahren seiner Amtszeit angelegt hatte. Die Klimaanlage wurde richtig eingestellt, Lufterfrischer wurde in die Ecken des Raumes gesprüht, zwei Vasen mit frischen Blumen wurden hereingebracht, und schließlich nahmen Parulkar und Sartaj einander gegenüber Platz.
»Also, Sartaj«, begann Parulkar. »Was gibt es so Dringendes?«
»Saab«, antwortete Sartaj, »Iffat-bibi hat mich gestern um ein Treffen gebeten. Sie hat darauf bestanden. Es sei von größter Wichtigkeit. Mehr wollte sie am Telefon nicht sagen.«
Parulkar blickte in seine Tasse. Er runzelte die Stirn, tauchte einen Löffel in den Tee und entfernte den Film, der sich darauf gebildet hatte. »Wo hast du dich mit ihr getroffen?«
So war Parulkar am gefährlichsten: scheinbar lässig und desinteressiert. »In Fort, Sir. Hinter einem Fischrestaurant namens Kishti.« Auch das hatte Sartaj von Parulkar gelernt: Bei einer großen Lüge mußten die Details der Wahrheit entsprechen. Auf diese Weise lieferte man eine Menge Einzelheiten, die mehrfach überprüft und für zutreffend befunden werden konnten. »In einem Buchhaltungsbüro.«
»Ah ja. Das ist Walias Büro. Er führt einen Großteil ihrer legalen Geschäfte. Was wollte Iffat-bibi von dir?«
Sartaj beugte sich vor. Außer ihnen war niemand im Raum, aber irgendwie glaubte er flüstern zu müssen. »Suleiman Isa möchte mit Ihnen reden, Sir.«
Parulkar setzte seine Tasse ab und schob sie langsam auf den Tisch zurück. »Unmöglich. Meine Position ist zu heikel. Außerdem weiß man heutzutage nie, wann und wo das Antikorruptionsbüro mithört.«
»Das hab ich Iffat-bibi auch gesagt, Sir. Aber sie besteht darauf. Das heißt, er besteht darauf, hat sie gesagt. Wann und wie das Gespräch geführt wird, entscheiden Sie. Ob telefonisch oder über Satellitentelefon oder sonstwie. Sie bestimmen alles.«
»Auch wenn ich meine Seite der Verbindung selbst wähle - die andere Seite ist nicht sicher. Wer weiß, welche Stelle bei denen mithört.«
»Daran haben sie auch gedacht, Sir. Wenn Sie Suleiman Isa nicht in Karatschi anrufen möchten, dann können Sie mit Salim in Dubai sprechen.« Salim war Suleiman Isas Topcontroller und langjähriger Freund, er führte von Dubai aus die täglichen Geschäfte der Company. »Sie können Salim ein neues Telefon bringen lassen, sagen sie, an einen Ort, den Sie mit ihm vereinbaren, und von dem Apparat aus ruft er sie dann an, unter einer Nummer in Indien, die Sie ihm nennen. So sei die Sicherheit auf beiden Seiten gewährleistet.«
»Ich soll mit Suleiman Isas Laufburschen reden? Diese Kerle werden immer arroganter.«
»Wenn Sie in Karatschi jemanden kennen, der Suleiman Isa ein Telefon bringt, Sir, dann können Sie mit ihm direkt sprechen. Ganz wie Sie wünschen, sagt Iffat-bibi.«
»Dubai oder Karatschi, das ist nicht das Problem. Das Problem sind diese Gaandus, die sich für die Herren der Welt halten.«
»Verstehe, Sir. Soll ich Iffat-bibi dann absagen?«
Parulkar rieb sich den Bauch und griff wieder nach seiner Tasse. »Was hat sie denn sonst noch gesagt? Erzähl mal von Anfang an.«
Und Sartaj erzählte von Anfang an. Wie Iffat-bibi ihn auf dem Handy angerufen hatte, wie er zu dem Buchhaltungsbüro gefahren war und sie in der engen Kabine angetroffen hatte,
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