Der Pate von Bombay
In seinem Innern brannte eine Lunte, tickte die Angst. Er lehnte sich an den Pfosten eines Drahtzauns und versuchte Befriedigung zu empfinden. Unser Team hat gewonnen. Klar. Kamble war dort drinnen herumgetanzt vor Freude. Sartaj aber konnte sich der Frage nicht entziehen: Willst du das retten? Wofür? Warum?
Nach drei Wochen war Sartajs Beförderung durch. Da niemand von seiner Mitwirkung am Fall Gaitonde und der Sache mit den Bomben wußte, wurde kein Grund für die ungewöhnlich schnelle Bearbeitung der Beförderung genannt. Anjali Mathur hatte ihm an jenem Morgen in der Molkerei gesagt, daß die Bomben offiziell nicht existierten und nie existieren würden. Das habe man an höchster Stelle so entschieden, aus Gründen der nationalen Sicherheit. Sie hatte die Schultern gezuckt, und er hatte begriffen. Als Polizist wußte er, daß erfolgreiche Operationen manchmal offiziell nicht existieren durften, damit der Ruf einer hochrangigen Persönlichkeit gewahrt blieb, damit kein Politiker zugeben mußte, wie knapp man an einer Katastrophe vorbeigeschrammt war.
Daß der Einsatz unsichtbar blieb, hätte Sartaj nicht weiter gestört, aber nun strömten alle möglichen Gerüchte in das Vakuum fehlender Fakten ein. In der Dienststelle ging man davon aus, daß Sartaj Parulkar ans Messer geliefert, daß er Parulkars erstaunlichen Sturz arrangiert hatte. Von dem Mitschnitt des Telefonats zwischen Parulkar und Suleiman Isa waren auf den Bändern des Antikorruptionsbüros und auf den Websites die ersten Sekunden herausgeschnitten worden. Sartajs »Hallo?« fehlte, das Gespräch begann erst mit Parulkars »Ich bin's«. Niemand wußte, daß der Anruf bei Sartajs Mutter entgegengenommen worden war, doch bei der Polizei herrschte stillschweigendes Einvernehmen darüber, daß Sartaj etwas mit den Umständen des Anrufs zu tun gehabt hatte. Man wußte, daß die Beförderung seine Belohnung war, zusammen mit einem Geschenk in Höhe eines ganzen Khoka von Suleiman Isa. Außerdem kursierte das Gerücht, Sartaj habe einen Unschuldigen verprügelt und ihn schwer verletzt, und man glaubte, auch das sei als Gegenleistung für Parulkars Demontage unter den Teppich gekehrt worden. In der Dienststelle hegte niemand deswegen ungute Gefühle gegenüber Sartaj, viele zollten ihm sogar neuen Respekt. Parulkar war ein alter Spieler, er hatte sich im Laufe der Jahre viele Feinde gemacht, und manch einer sah ihn nicht ungern stürzen. Selbst jene, die ihm gegenüber neutral eingestellt waren, meinten, er habe vielleicht doch zu hoch hinausgewollt. Parulkars Freunde und Feinde sahen in Sartaj nun einen hervorragenden Strategen, einen Mann, den man sich warmhalten mußte.
Parulkar selbst war untergetaucht. Am zweiten Tag nachdem das Telefonat publik geworden war, wurden in der gesetzgebenden Versammlung und auch im Parlament Fragen gestellt. Noch am selben Abend wurde Haftbefehl gegen ihn erlassen, doch er hatte bereits einen Kautionsantrag gestellt. Sein Anwalt sagte den Zeitungen tags darauf, man sei in der Sache übereilt und unprofessionell vorgegangen, die Stimme auf den Bändern sei nicht die von Parulkar, der so viele Jahre selbstlos dem Land gedient habe, und es gebe auch keinerlei Beweis dafür, daß die andere Stimme die von Suleiman Isa sei. Das aufgezeichnete Gespräch lasse zudem in keiner Weise auf kriminelle Machenschaften oder staatsfeindliche Aktivitäten schließen.
Doch der Ministerpräsident kündigte unverzüglich eine umfangreiche Umbesetzung hoher Polizeiposten an und erklärte auf Fragen von Reportern kategorisch, es könne keine Rede davon sein, daß er selbst oder Mitglieder seines Kabinetts in das anstehende Gerichtsverfahren eingreifen würden. »Die Untersuchung läuft. Sehr bald werden Ergebnisse vorliegen, Sie werden sehen. DCP Parulkar sollte sich stellen. Man wird streng, aber gerecht mit ihm verfahren.«
Sartaj hatte keine Ahnung, wo Parulkar war. Er wußte nur in etwa, wie er mit ihm in Verbindung treten konnte, und hinterließ bei einigen Khabaris und bei Parulkars Finanzberater Homi Mehta diskrete Nachrichten für ihn. Aber es kam keine Antwort. Zweimal innerhalb von zwei Wochen klingelte spätnachts sein Handy, doch beide Male meldete sich niemand. Sartaj hörte nur die schweren Atemzüge eines alten Mannes. Beim zweiten Mal sagte er: »Sir? Sind Sie's, Sir?« Es erfolgte jedoch keine Reaktion, und auf dem Display war keine Nummer erschienen. Am Morgen nach der offiziellen Verkündung seiner Beförderung
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