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Der Pate von Bombay

Titel: Der Pate von Bombay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vikram Chandra
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Jackett und polierten Schuhen auf den Bänken sitzen zu können. Und auch dann gab es noch vieles, was man sich nicht leisten konnte: Kachoris von Makhania, den Chaatvaala mit seinem Stand gegenüber dem Eingang zum College, Filme im Parvati, Kameradschaft und sorgloses Gelächter. Die immateriellen Dinge, die nie beim Namen genannt wurden, aber ebenfalls Bildung waren - auch sie waren unerschwinglich. All das wußte Aadil, und trotzdem wollte er aufs College. Er wollte nicht heiraten, er bestand darauf, aufs College zu gehen. Kein Einwand der Älteren im Tola ließ ihn auch nur im mindesten schwanken. Aadil sagte ihnen, daß Gebühren, Bücher und Prüfungen allein siebenhundert Rupien pro Halbjahr kosten würden, vielleicht auch mehr. Woher soll das Geld denn kommen? fragten sie. Doch Aadil beharrte auf seinem Plan. Er war nicht unhöflich, er senkte nur den Kopf und wiederholte immer von neuem den einen Satz: »Ich will aufs College.« Schließlich ging Noor Mohammed mit ihm zum Raja.
    Aadil war noch nie in dem Haveli gewesen. Er hatte nur die Backsteinmauer auf dem Hügel gesehen, die es umgab, und er hatte die Kinder des Rajas in ihren blütenreinen Kleidern gesehen. Jetzt wunderte er sich über die kopflose Statue vor dem Haus, die vielen zerbrochenen Fensterscheiben und die gesplitterten Balkongeländer. Und doch nahm es ihm den Atem, dieses Haveli mit seinen gewaltigen Ausmaßen, den überwucherten Gärten, die einmal einen Stab von fünfzig Gärtnern beschäftigt haben mußten, den hohen leeren Ställen, die einst Elefanten beherbergt hatten. Der Raja empfing sie auf einer Terrasse hinter dem Haus. Er tat einen langen Zug aus seiner Wasserpfeife, den Blick auf den glitzernden Fluß in der Ferne gerichtet. Er trug ein weißes Hemd und einen blauen Lungi und sah aus der Nähe ganz anders aus als die Fürstenbilder, die Aadil in seinen Geschichtsbüchern gesehen hatte. Selbst die Wasserpfeife war abgenutzt, ihr Kopf hatte einen Sprung. Noor Mohammed kauerte sich neben dem Sessel des Rajas nieder und zupfte Aadil am Ärmel, bis er sich ebenfalls hinhockte. Der Raja hörte Noor Mohammed an und sagte: »Noor, der Junge ist in Ordnung. Er soll lernen. Bildung ist wichtig in diesen Zeiten. Aber meine Lage ist kritisch. Diese Kerle haben mir mein Land inzwischen bis an den Obstgarten weggenommen.« Er zeigte über die Schulter zurück.
    Die Kerle, die er meinte, waren die Gangotiyas 209 , die bis zum vergangenen Jahr am Zusammenfluß von Milani und Boorhi Gandak gelebt hatten, bis innerhalb einer verhängnisvollen Woche die Flüsse ihren Lauf veränderten. Scharen von Gangotiyas waren daraufhin in Rajpur aufgetaucht, an die sechshundertfünfzig zerlumpte Männer, Frauen und Kinder, und über Nacht war auf dem Land des Rajas eine Siedlung entstanden. Dreißig Bigha Land rings um zwei große Teiche hatten sie besetzt und sie zu ihrem Eigentum erklärt. Das Land habe ihnen der verstorbene Vater des Raja überlassen, behaupteten sie, den eine Begegnung mit Acharya Vinoba Bhave 006 so tief beeindruckt hatte, daß er sich augenblicklich zu dessen idealistischer Ideologie der Landumverteilung bekannt habe. Beweis dafür war ein angeblich vom Vater des Rajas zwei Wochen vor seinem Tod unterzeichnetes Vermächtnis auf einem zerfledderten Stück Papier. Die Gangotiyas wurden von den Oppositionspolitikern unterstützt, und der schwindende Einfluß samt den Beziehungen des derzeitigen Rajas reichten nicht aus, um sie von seinem Land zu vertreiben. Er war natürlich vor Gericht gezogen, aber bis ein Urteil gefällt würde, konnten zehn oder auch zwanzig Jahre vergehen. Unterdessen bestellten die Gangotiyas die Felder und hatten zahlreiche Hütten, sieben Steinhäuser, eine Schule und einen Tempel gebaut.
    »Raja-ji, die Zeiten sind sehr schlecht«, sagte Noor Mohammed. »Aber unsere Familie gehört Ihnen seit Generationen. Sie haben immer für uns gesorgt.«
    Das stimmte. Männer aus dem Ansari Tola hatten seit jeher in den Ställen des Haveli gearbeitet, doch nach der Unabhängigkeit waren die Pferde und Elefanten daraus verschwunden. Früher hatte alles Land vom Haveli bis zum Fluß den Rajas gehört, einschließlich der wandelbaren Böden direkt an seinem Ufer. Jetzt aber konnte das Haveli keine hundert Lathis mehr schwingen, und so hatten sich die Yadavs die fruchtbaren Felder am Fluß genommen und die Gangotiyas die Felder rings um die Teiche. Der Raja wurde von beiden Seiten bedrängt. Er zog nachdenklich an seiner

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