Der Pate von Bombay
dort wohnte, wollte sie nicht einlassen, und schon kamen auch die Sayyids 570 und die Pathans angelaufen, die in der Nähe lebten. Ihr könnt hier niemanden begraben, sagten sie, ihr habt doch euren eigenen Friedhof. Die Männer aus dem Ansari Tola protestierten im Namen Allahs, dann flehten sie den mächtigen Maqbool Khan an, den reichsten Muslim in Rajpur, Sohn eines Zamindars 679 und Nachfahre -so hieß es - von Amirs und Nawabs 449 . Sie baten um Verständnis und Mitgefühl und sagten Maqbool Khan, den Pathanen und den Sayyids, daß ihr eigener Friedhof nicht mehr existiere, weil der Fluß nach dem Monsun seinen Lauf geändert und ihn überflutet habe. An jenem Tag aber gab es keine Gnade in Rajpur, nicht einmal für den Toten, einen frommen Mann, der fünfmal am Tag gebetet hatte und der großherzigste Mensch gewesen war, den man sich denken konnte. Maqbool Khan gab den Trauernden fünf Rupien und forderte sie auf, einen neuen Friedhof zu bauen. Erst nach zwei Tagen konnte Salim bestattet werden, denn es gab kein freies Land um Rajpur, kein Fleckchen harte Erde, das für einen Körper ausgereicht hätte. Schließlich fand Aadils Vater einen struppigen Abhang, ein Dreieck sauren, unfruchtbaren Bodens zwischen dem Flußbett und der Straße, und die Männer rodeten es und ebneten es ein, legten einen Friedhof an und begruben Salim.
Immer öfter wachte Aadil nun mit Wut im Bauch auf. Sie empfing ihn mit ihrem eindringlich monotonen Klang, noch ehe er die Augen aufschlug und die braune Lehmwand sah, noch ehe er seine Mutter seufzen hörte, die mit ständigen Rückenschmerzen zu kämpfen hatte. Diese nagende Wut begleitete ihn durch den Tag, sie brannte ihm das Fleisch von den Knochen, und er magerte stark ab. Er war inzwischen sehr groß und alles andere als ein Dibba, obgleich ihm der Spitzname blieb. Seine Mutter begann im Scherz davon zu sprechen, daß eine Frau für ihn gefunden werden müsse, doch für Aadil waren diese verfrühten Reden vom Heiraten eine weitere Qual. Andere Jungen seines Alters flirteten mit den Mädchen, und Anwarul mit seiner breiten Brust und dem gefährlichen Gang hatte eine Affäre mit einer verheirateten Frau aus der Chamar toli 639 . Aadils Leidenschaft aber waren seine Bücher, und nach nichts anderem stand ihm der Sinn als nach dem berauschenden Genuß des Lernens. Im Tola war dafür jedoch kaum Unterstützung zu finden, auch nicht bei den wenigen, die schon einmal ein wenig über Rajpur hinausgekommen waren. Noor Mohammed und Mumtaz Khatun waren sogar weiter als bis ins vierundvierzig Kilometer entfernte Alagha gereist. Für sie war Patna ein sagenhafter Ort, von Delhi hatten sie nur eine vage Vorstellung, von Peking gar keine. Geboren werden, in Rajpur hart arbeiten, überleben - das war es, was sie vom Leben wußten und erwarteten. Sie davon zu überzeugen, daß Aadil in der Lage sein würde, die höhere Schule zu absolvieren, und daß dies wünschenswert war, dazu bedurfte es eines langen, erbitterten Kampfes, der nie ganz gewonnen wurde. Viele im Tola meinten, wenn man dem Jungen zuviel Bildung angedeihen lasse, werde er nicht mehr auf dem Feld arbeiten wollen, man müsse deshalb vorsichtig sein. Trotz allem aber kämpfte sich Aadil durch die zehnte Klasse und legte die Abschlußprüfung ab. Daß er nicht unter den Besten war, lag allein daran, daß er als einziger mit geliehenen Büchern und ohne Hefte, Stifte und Lampenlicht hatte lernen müssen. Im Ansari Tola fand zwar keine Feier statt, aber seine Eltern waren stolz auf ihn, und halb Rajpur wußte nun, daß er etwas Besonderes war, wie das fünfbeinige Kalb, das in den Ställen des Rajas geboren worden war. Aadil spürte die Herablassung, wenn Brahmanen, Yadavs und Pathanen ihm auf der Straße »Professor-saab« zuriefen, aber er zuckte nur die Schultern. Das Gelächter nährte seine Wut, und die Wut trieb ihn voran.
Er wollte nun aufs College, und Wut allein genügte nicht, um dorthin zu gelangen. Die Gebühren waren noch das wenigste - es fielen noch viel mehr Ausgaben an. Aadil verstand inzwischen etwas von Bildung und hatte begriffen, daß Bildung eine Menge Geld kostete. Man mußte Bücher kaufen, Schreibzeug und Anmeldeformulare, für Prüfungen und Abschlüsse wurden besondere Gebühren erhoben, und man brauchte ein Fahrrad, um zum Lala Chandan Lal Memorial College in der Jawaharlal Nehru Road am anderen Ende von Rajpur zu kommen. Man brauchte Kleidung, zwei Paar Hosen und zwei Hemden, um neben Kommilitonen in
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