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Der Pate von Bombay

Titel: Der Pate von Bombay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vikram Chandra
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nach Jahreszeit und Stand der Feldarbeit. Sie hatten nicht viel übrig, weder Zeit noch Essen oder Geld. Dennoch brachten sie Allah ihren Dank dar, als ihnen ein weiterer Sohn geboren wurde. Sie nannten ihn Aadil.
    Aadil war von Anfang an neugierig und unternehmungslustig. Mit Zwei war er eines Regennachmittags seinen beiden Schwestern vor der Nase weggelaufen. Als seine Mutter in das Tola zurückkam, fand sie die Bewohner in hellem Aufruhr und ihre Töchter in Tränen. Alle suchten die Felder ab, und ein Cousin des Jungen wurde in den Brunnen hinabgelassen. Noor Mohammed ging mit geballten Fäusten das nahe Flußbett entlang. Endlich fand sein Bruder Salim den Jungen, wo ihn niemand gesucht hatte: auf der Straße jenseits des Flußbettes. »Er ist einfach da entlangspaziert«, sagte Salim, »splitternackt, aber überhaupt nicht müde oder ängstlich .« Aadil hatte offenbar beschlossen, die Welt zu erkunden, und war einfach losmarschiert. Seine Mutter drückte ihn fest an sich und fragte: »Wo wolltest du denn hin? Was hast du nur gesucht?« Aadil aber schwieg zu allem. Er ließ die ganze Aufregung geduldig über sich ergehen und sah sich aus großen schwarzen Augen um. Er war ein sehr ernsthafter Junge. »Wenn ich nicht gerade aus Kurkoo Kothi 348 zurückgekommen wäre«, sagte sein Onkel, »dann wäre unser kleiner Abenteurer bis nach Patna gegangen.«
    Bis Patna waren es nur hundertachtundzwanzig Kilometer, doch Aadil brauchte achtzehn Jahre, um dorthin zu gelangen. Bis dahin schlug er sich mit der Begrenztheit Rajpurs herum, einer Stadt von hundertfünfzigtausend Einwohnern, die sich planlos über das Südufer des Milani erstreckte. Der Milani war ein unbedeutender Wasserlauf, der, sechzig Kilometer bevor er in den Ganges mündete, vom Boorhi Gandak abzweigte. Auf einem Felsvorsprung am Milani stand ein mittelalterlicher Kali-Tempel 307 , auf dem Hügel gegenüber eine weiße Moschee. Im Sommer und im Spätwinter versiegte der Fluß, und in seinem Bett kamen graue Felsen zum Vorschein, in die Götterfiguren aus längst vergangenen Zeiten eingemeißelt waren. Im Süden und Osten, auf dem höchsten Hügel der unmittelbaren Umgebung, verfiel das Haveli 266 des Raja Jadunath Singh Chaudhury still vor sich hin, und alle in Rajpur glaubten, daß in der Ruine Gespenster und gackernde Chudails 128 spukten. Raja Jadunath hatte den größten Teil seines Landes verloren, und sein Besitz konnte es an Pracht und Großzügigkeit nicht mehr mit dem des örtlichen MLA Nandan Prasad Yadav aufnehmen, der während Aadils Kindheit Kurkoo Kothi zu einem imposanten, luxuriösen Herrensitz in Blau und Rosa ausgebaut hatte, mit einer dreieinhalb Meter hohen Mauer und bewaffneten Wächtern ringsum. Noor Mohammed pflegte zu sagen, der Raja habe keinen Sinn für moderne Politik, Nandan Prasad Yadav dagegen sei ein Meister dieses schmutzigen Geschäfts. So wurde der eine klein, der andere groß. Der Raja beauftragte Noor Mohammed mitunter, seine Kinder in seiner uralten Kutsche zum Bahnhof zu fahren, und die meisten Männer des Ansari Tola arbeiteten auf dem Land um Kurkoo Kothi.
    Einige Jungen im Ansari Tola konnten ein wenig lesen, einer war bis zur achten Klasse zur Schule gegangen. Von ihren Vätern konnte keiner lesen, und noch nie hatte jemand aus der Siedlung die höhere Schule abgeschlossen. Aadil aber war, wie sich schon früh zeigte, fasziniert vom geschriebenen Wort. Noch ehe er lesen konnte, fuhr er in alten Zeitungen mit dem Finger die Buchstaben nach. In der nur aus zwei Räumen bestehenden Grundschule neben Prem Shanker Jhas Mangohain lauschte er dem Lehrer so hingerissen, daß er sofort zur Zielscheibe des Spotts wurde. Einer der Yadav-Jungen sagte: »He, der Aadil sieht aus wie ein Dibba 170 , wenn der Lehrer redet«, und er riß die Augen auf und machte ein todernstes Gesicht. »Aadil-dibba«, sagte er und blies die Backen auf, und die Kinder aller drei Klassen auf der erhöhten Plattform des Schulhauses lachten. Von diesem Tag an wurde Aadil Dibba genannt und galt als Streber. Auch der Lehrer - sofern er in der Schule war und nicht gerade durch den Verkauf von Zwiebeln ein bißchen Geld nebenbei zu verdienen suchte - bemerkte Aadils Eifer und seine stille Art, und er bemühte sich, die Schulrabauken von ihm fernzuhalten. Das führte natürlich dazu, daß Gruppen von kräftigen Faulpelzen und Nichtsnutzen auf dem Schulweg ein besonderes Augenmerk auf ihn richteten. Aber er ließ sich nicht beirren. Nach der fünften

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