Der Pate von Bombay
Detonation, rannte hinterher. Papierfetzen regneten herab, und es roch nach Benzin. Dann sah Aadil die Leiche eines Polizisten, aber nur zur Hälfte. Stiefel und Beine waren weitgehend unversehrt, und der braune Ledergürtel glänzte noch. Von der Taille aufwärts aber war außer einem schmutzigen Knäuel Eingeweide nichts mehr da. Aadils Kehle schnürte sich zu, und er mußte sich abwenden. Reiß dich zusammen, ermahnte er sich selbst, du hast doch genug Sektionen durchgeführt. Das ist nichts Neues für dich.
»Das erste Mal ist immer schwierig«, sagte der Truppführer. Er stieß mit dem Fuß eine schwelende Metallstrebe beiseite und bückte sich, um einen Blick auf die darunter liegende Leiche zu werfen. Das Fahrgestell des Jeeps hinter ihnen war von einer feinen Schicht züngelnder blauer Flämmchen überzogen. »Aber keine Angst, man gewöhnt sich dran. Irgendwann machst du's selbst.«
»Ich hab keine Angst«, sagte Aadil. Der Ekel, der ihn erfaßt hatte, war eine rein körperliche Reaktion gewesen, sein Kopf wußte es besser. Die Polizisten waren Klassenfeinde und mußten liquidiert werden. Eine Alternative gab es nicht.
Wie erwartet gewöhnte sich Aadil ans Töten. Er operierte vorwiegend in Bhagalpur und Munger. Genosse Jansevak meinte, in Rajpur sei er zu bekannt und es gebe dort inzwischen zu viele Denunzianten und Feinde, die ein persönliches Interesse daran hätten, ihm zu schaden. Und so führte Aadil seinen Krieg weit weg von daheim. Er hatte stets ein Gewehr und ein Rampuri-Messer bei sich, seine Hauptarbeit aber bestand in Unterweisung und Indoktrination. Er zog von Dorf zu Dorf, meist nachts, nie ging er am Tag über freies Feld. Er gab Kurse für die Bauern, sammelte sie um Mitternacht beim Schein einer einzigen Laterne um sich. Er klärte sie über ihre Geschichte auf und entwarf eine Zukunftsvision: Gleichheit, Wohlstand, keine Grundherren, keine Schulden, jedermann Herr über sein eigenes Schicksal.
Mit jeder Woche, die verging, wurde Aadil für die PAC-Führung unentbehrlicher. Als Professor befehligte er zwar keine Einheiten, aber er stieg rasch in der Hierarchie auf und wurde zu einem zuverlässigen Taktiker. Die Grundherren hatten ihre Armeen, die Polizei ihre Macht und Brutalität. Und so wurde das Spiel auf den Hügeln und im Labyrinth der Flußarme ausgetragen. Aadil plante die Operationen, die Exekutionen als Reaktion auf Massaker, die Überfälle auf Polizeikonvois, die Entführung von Ingenieuren und Ärzten. Er entdeckte in sich einen Instinkt für Finten und Vergeltungsschläge, für Listen und Ausweichmanöver. Er freute sich am Erfolg seiner Strategien, er war nicht unempfindlich gegenüber der Bewunderung seiner Genossen, und so setzte er alles daran, ein guter Soldat zu sein. Der Geruch von Menschenblut verursachte ihm keine Übelkeit mehr. An mehreren Operationen nahm er auch selbst teil, etwa an einem Überfall auf einen Polizeikonvoi aus acht Fahrzeugen, der von einer Untersuchung des Mordes an einem Dorfvorsteher zurückkehrte. Innerlich jubelnd, feuerte er einen Selbstlader auf die Figuren in ihren Khaki-Uniformen ab, die auf der Straße unten verwirrt und angstvoll durcheinanderliefen, nachdem die ersten drei Laster in die Luft geflogen waren. Der Plan stammte von ihm. Der Dorfvorsteher, ein Denunziant und reaktionärer Rechter, war in aller Öffentlichkeit hingerichtet worden: An einem Dienstag hatte man ihn mitten auf dem belebten Dorfmarkt enthauptet. Da er dem örtlichen MLA nahegestanden hatte, mußte die Polizei einen größeren Konvoi in das Dorf schicken, um die Ermittlungen aufzunehmen und die Ruhe wiederherzustellen. Und so lauerten Aadil und zwei PAC-Trupps der Wagenkolonne an der Straße auf. Das Ergebnis waren sechsunddreißig getötete und zahlreiche verletzte Polizisten, aber kein einziges Opfer auf Seiten des PAC. Wieder erntete der Professor höchstes Lob, doch am kostbarsten war ihm die Erinnerung an den Schlag des Gewehrs gegen seine Wange und den Pulvergeruch. Sie gab ihm die Gewißheit, nicht nutzlos zu sein, nicht abseits zu stehen. Er hatte die Welt auf seine Schultern genommen, und er würde sie aus den Angeln heben.
Die Jahre vergingen, eine Schlacht folgte auf die andere. Aadils Eltern starben eines kalten Winters im Abstand von weniger als vier Wochen, seine Mutter in Frieden, weil ihr Sohn endlich geheiratet hatte. Aadils Frau war wesentlich jünger als er. Sie hieß Jhannu, eine Musahar-Frau 435 , die bis zur zehnten Klasse die Schule
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