Der Pate von Bombay
Essen roch faulig, Fieber und Ruhr forderten einen steten Tribut. Aadil aber war niemals niedergedrückt oder ängstlich. Er betete nicht mehr, auch nicht ein einziges Mal am Tag. Er vertiefte sich in das Studium des Marxismus-Leninismus-Maoismus und der Kampagnen, die Arbeiter und Bauern überall auf der Welt durchgeführt hatten. Er las die Bücher und Broschüren, die Genosse Jansevak ihm schickte, und unterwies jeden, mit dem er in Berührung kam. Bald nannte man ihn im Gefängnis den Professor, ein Spitzname, der ihm blieb.
Eines strahlenden Dezembermorgens, als der Ministerpräsident den Bezirk besuchte, flüchteten Aadil und vier andere. Das Gefängnispersonal war wegen des hohen Besuchs großenteils auf die Straßen abkommandiert, und nur eine Notmannschaft tat Dienst. Aadil und seine Mithäftlinge überwältigten hinter der Gefängniswäscherei zwei Wärter und kletterten mit einer behelfsmäßigen Leiter aus Holzgestellen und Schnüren aus der Wäscherei über eine Mauer. Zwei Tage später war Aadil wieder in Rajpur und beriet sich mit dem Genossen Jansevak. »Ich will die Kerle haben«, sagte er.
»Bist du sicher?« fragte Genosse Jansevak. »Wenn du zwei Polizisten umbringst, bist du dein Leben lang auf der Flucht.«
»Das bin ich auch so. Keine Sorge. Ich bin fest entschlossen. Ich habe alles hinter mir gelassen.«
Vier Tage später tötete Aadil die beiden Wachtmeister, die ihn beschuldigt hatten. Insgesamt kamen bei der Explosion fünf Polizisten ums Leben, aber Aadil ging es nur um die beiden. Der Tod der anderen war ein unverhoffter Glücksfall. Genosse Jansevak hatte Aadil mit dem People's Action Committee in Kontakt gebracht, dem militärischen Arm des PRC. Das PAC verfügte über die Informationen und das Material, das er brauchte. Man wußte dort, daß ein Inspektor und vier Wachtmeister mit einem Jeep in das Dorf Ganti fahren würden, um nach einem Zusammenstoß rivalisierender Gruppen in einem Grundstücksstreit zu ermitteln. Drei Tage lang hatten Kundschafter des PAC die unbefestigte Straße nach Ganti beobachtet. Am vierten Tag tauchte um elf Uhr vormittags der Polizeijeep auf, und die beiden Beamten, auf die Aadil es abgesehen hatte, saßen hinten im Wagen. Der Jeep fuhr vorbei, und kaum war er außer Sicht, machten sich der PAC-Trupp und Aadil an die Arbeit. Er schaute zu, wie die PAC-Leute eine RDX-Sprengladung auf der Straße plazierten. Der Truppführer grinste, als sie die Konservendose mit den Sprengstoffstangen in das Loch senkten, das sie gegraben hatten. Ihre Namen hatten sie Aadil aus Gründen der operationalen Sicherheit nicht genannt.
Der Truppführer sagte: »Weißt du, was das ist, Professor?«
»Ja.«
»Und trotzdem stehst du so dicht dabei?«
»Genosse Jansevak hat gesagt, ihr seid Experten.«
Der Truppführer grinste. Aadil half ihm, die schwarze Zündschnur zu entrollen, von der Straße bis hinter einen Erdwall. Zwei Männer aus dem Trupp verteilten mit dem Fuß Erde darüber. Dann legten sich alle hinter den Wall, die PAC-Leute mit ihren Gewehren im Arm. Die Sonne stieg höher, und sie warteten. Aadils Schläfen pochten. Der Truppführer erzählte ihm von einem Überfall auf einen Steinbruch in Singhbhum, bei dem sie zwölfhundert Stangen Sprengstoff erbeutet hatten. Sie warteten. Um halb drei gab ihnen ein Kundschafter von Osten her ein Zeichen.
»Der Jeep kommt«, sagte der Truppführer. »Willst du's selber machen?« Er hielt Aadil das gespaltene Ende der Zündschnur hin. Vor ihm stand eine rote Autobatterie. »Es muß genau im richtigen Moment passieren. Zu früh oder zu spät, und die Sache geht daneben.«
Aadil schüttelte den Kopf. Er hätte es gern selbst gemacht, aber er wollte auf Nummer Sicher gehen. Seine Hände zitterten, und er traute sich nicht zu, den Zeitpunkt genau zu berechnen. Der Jeep holperte die Straße entlang und kam näher, und bald konnte Aadil ihn auch hören. Einen Moment lang schien es, als sei er bereits über die Stelle hinaus, an der die Mine lag, doch dann verschwand er in einem weißbraunen Erdbeben, und Aadil schloß unwillkürlich die Augen. Als er sie zwinkernd wieder öffnete, sah er eine Wolke aus schwarzem Staub und Rauch, dann schlug weit entfernt von der Straße auf der Seite des PAC-Trupps ein schwarzer Metallklumpen auf. Die Männer jubelten und johlten.
»Vierzig Meter«, sagte der Truppführer. »Der ist mindestens vierzig Meter weit geflogen.«
Sie stürmten vor, und Aadil, noch halb taub von der gewaltigen
Weitere Kostenlose Bücher