Der Pate von Bombay
sagen.« Sartaj tippte mit dem Zeigefinger auf eine Frau mit einem blauen Hut. »Schauen Sie sich die an.«
»Die kenne ich nicht«, sagte Shilpa verkniffen. Als er ihr die Tote zeigte, die er bis zum Schluß aufgehoben hatte, lehnte sie sich zurück und verschränkte die Arme. »Wieso fragen Sie mich überhaupt? Wieso zeigen Sie mir die ganzen Bilder? Ich weiß nicht, wer das ist.« Shilpa Chawla war angewidert und verärgert, sie hatte Angst, und Sartaj hatte keinen Beweis dafür, daß sie log.
»Gut«, sagte er zu Katekar. »Schicken Sie Manika rein.«
Sie war älter als die anderen, Anfang Dreißig vielleicht, aber man mußte schon sehr genau hinschauen, um das zu sehen, und auch dann erkannte man es vor allem an ihrem etwas müden Selbstbewußtsein und ihrem unverhohlenen Interesse an Sartaj. Katekar und die Polizistinnen an der Tür grinsten sich an, und Sartaj war froh, daß sie Manika auf die Entfernung nicht hören konnten.
»Wie geht es Ihnen?« fragte sie auf Englisch.
»Ich habe einige Fragen an Sie, Madam«, sagte Sartaj in knappem Hindi.
»Fragen Sie.« Sie war dunkel, schlank, sehr groß, einssiebzig vielleicht, und nicht unbedingt hübsch, aber sie hatte Grübchen, sie reckte das Kinn vor, ihre Augen waren ungeheuer lebendig, und sie verunsicherte Sartaj.
»Kennen Sie diese Frauen?«
Sie sah sich jedes der Bilder genau an. »Du lieber Himmel«, sagte sie beim dritten, »was für eine häßliche Bluse! Schauen Sie sich die Rüschen an den Ärmeln an - die sieht ja aus wie ein Clown! Aber sonst ein hübsches Mädchen. Der müßte nur mal jemand sagen, wie sie sich anziehen soll.«
»Kennen Sie sie?«
»Nein.« Manika nahm ihm die übrigen Fotos aus der Hand und lehnte sich zurück. Sie trug eine schwarze Bluse, rundum silberverziert, vorn so dick, daß das Silber wie ein Panzer auf dem dünnen Stoff lag. Sie war als einzige in ihrem Tanzdreß gekommen. »Wer sind die alle, Inspektor-saab?« Jetzt wirkte sie wieder schüchtern. »Mädchen, mit denen Sie anbandeln wollen?«
»Kennen Sie eine von ihnen?«
Sie schwieg, und ihre Hände kamen zur Ruhe. Sie betrachtete die Tote.
»Kennen Sie die?« fragte Sartaj. Sie schüttelte den Kopf. »Es ist sehr wichtig, daß Sie's mir sagen, wenn Sie sie kennen.«
»Nein, ich kenne sie nicht. Was ist mit ihr?«
»Sie ist ermordet worden.«
»Ermordet?«
»Erschossen.«
»Von einem Mann?«
»Ja, von einem Mann.«
Sie legte die Fotos mit dem Bild nach unten auf den Tisch zurück. »Natürlich von einem Mann. Manchmal frage ich mich, warum wir uns überhaupt mit euch abgeben. Ich weiß es einfach nicht.«
Sartaj hörte die Neonröhren im Flur summen. Draußen gingen Schritte vorbei. »Sie haben recht«, sagte er. »Ich weiß es, ehrlich gesagt, auch nicht.«
Ihre hochgezogenen Brauen verrieten abschätzende Skepsis, nichts Feindseliges, nur erschöpfte Ungläubigkeit. »Kann ich jetzt gehen?« fragte sie leise.
»Ja. Welchen Namen soll ich aufschreiben?«
»Welchen Sie wollen.«
Er setzte zum Schreiben an, hielt jedoch inne, als sie aufstand. Der Chunni glitt ihr von der Schulter, während sie sich zum Gehen wandte, und er sah, daß ihre Choli hinten von Schnüren zusammengehalten wurde, die die feinen Linien ihrer Schulterblätter und das lange braune Rückgrat freigaben. Wahrscheinlich dreht sie auf der Bühne Pirouetten, dachte Sartaj, und wirft den Männern in den Nischen feurige Blicke zu, Männern, die sie aus dem Dunkel anstarren.
»Ich sag's Ihnen.« Während der vier Schritte zur Tür hatte sie ihr Grinsen, ihre kecke Ironie wiedergefunden.
»Was?«
Sie kam noch einmal zurück, drehte die Fotos auf seinem Schreibtisch mit dem Bild nach oben, ließ die Tote links liegen, schnippte andere mit einem langen roten Fingernagel beiseite und hielt mit der anderen Hand ihren Chunni fest. »Die hier«, sagte sie schließlich.
»Was ist mit der?«
»Aber nur, wenn Sie nett zu mir sind... Sie heißt Kavita, so hat sie sich jedenfalls genannt, als sie im Pritam getanzt hat. Später hat sie Rollen in ein paar Videos bekommen und die Tanzerei an den Nagel gehängt. Dann hab ich gehört, daß sie in einer Fernsehserie mitspielt. Seitdem wohnt sie zur Untermiete in Andheri East. Die hat immer ein unheimliches Glück gehabt, diese Kavita. Nicht viele Mädchen bringen es so weit. Nicht mal eine von tausend. Von zehntausend.«
»Kavita. Sind Sie sicher, daß sie es ist? Ist das ihr richtiger Name?«
»Klar bin ich mir sicher. Und ob das ihr richtiger
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