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Der Pate von Bombay

Titel: Der Pate von Bombay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vikram Chandra
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den Pran in Zanjeer spielt, zu erinnern. Ich hörte diese Geschichten von Mord und Totschlag nicht zum ersten Mal, aber jetzt lauschte ich ihnen mit verzweifelter Aufmerksamkeit. Ich suchte nach Lehren, nach grundsätzlichen Aussagen über Sieg und Verlust, nach den Strategien jener, die noch am Leben waren, die überdauert hatten, seit Haji Mastan und Yusuf Patel in der Mohammed Ali Road und in Dongri Jagd aufeinander gemacht hatten. Ich hörte Qariz Shaikh zu, aber ich war unruhig. Hier zu sitzen, zu reden und nachzudenken reichte nicht. Ich mußte nach Hause, zurück in die Gassen von Gopalmath. »Ich gehe«, sagte ich. »Jetzt schon, Bhai?«
    Chhota Badriya trank mit hüpfendem Kehlkopf sein Lassi-Glas aus.
    »Ich habe genug von diesem Laden«, sagte ich. »Gehen wir.«
    Ich steuerte zügig die Tür an. Die Straße fiel zu den vorbeisausenden Lichtern der Schnellstraße hin ab. Linker Hand standen drei Rikschas in einer Reihe. Wir hatten unseren Wagen rechts von der Straßenlaterne geparkt. Es war ein uraltes, schrottreifes Ambassador-Taxi, das tagsüber Qariz Shaikhs Vater fuhr. Ich wollte ein besseres Auto, aber wir brauchten all unser Geld für Waffen. Irgendwann, dachte ich, bald. Ich trat auf die Straße, in den ovalen Lichtfleck. Als ich den Kopf umwandte, sah ich Chhota Badriya, wie er gerade ein Taschentuch einsteckte, dicht hinter ihm folgten die anderen. Beim Gehen verschoben sich ihre Schultern gegeneinander, und durch eine Lücke zwischen ihnen sah ich Mohan Surve unter der Neonreklame stehen, immer noch an der Tür, reglos, den Rücken zur Wand. Im selben Augenblick warf ich mich auf die Seite, krallte mich in die Dunkelheit und spürte dabei einen Schlag gegen die Schulter, der mich niederriß, doch ich fing mich, und im nächsten Moment rannte ich los, seitlich an dem Gebäude entlang, und wußte, daß ich angeschossen worden war, obwohl ich keine Schüsse gehört hatte. An der Ecke bremste ich mich mit einer Hand an der Mauer ab, blickte zurück, irgend etwas bewegte sich in dem Dunkel. Ich wirbelte um die Ecke, hielt die Pistole gezückt. Jetzt hörte ich Schüsse. Ich riskierte einen weiteren Blick und entdeckte Chhota Badriya. Er stand an der Ecke und schoß auf irgend etwas dahinter.
    »Badriya«, rief ich. »Komm.«
    Wir kletterten über eine Mauer, liefen über ein Grundstück, verließen es durch das Tor und rannten eine Straße hinunter. Nach zweimaligem Abbiegen mußte ich anhalten. Ich lehnte mich gegen einen Lieferwagen, dann beugte ich mich vor und erbrach spritzend auf die Straße. Mein linker Arm zitterte, krampfartige Schmerzen durchzuckten mich.
    »Hast du was abgekriegt?« fragte ich Chhota Badriya.
    »Keinen Kratzer«, sagte er. »Nichts. Alles in Ordnung.« Er lachte, ein dünnes Keckern.
    »Gut«, sagte ich und drehte den Kopf zu ihm hoch. »Ich weiß, daß du es nicht bist.«
    »Daß ich was nicht bin?«
    »Daß du nicht derjenige bist, der uns verkauft hat. Denn wenn du es wärst, wärst du jetzt nicht hier. Und falls doch, könntest du mich jetzt umbringen.« Ich war mit dem Kopf nur wenige Zentimeter vom Lauf seiner Pistole, nur eine kurze Fingerbewegung vom Tod entfernt.
    »Bhai«, sagte er. »Also ehrlich, Bhai.« Er war schockiert. In diesem Moment liebte ich ihn, liebte ihn wie einen Bruder.
    »Wisch dir das Gesicht ab«, sagte ich. »Du hast da noch Mango-Lassi kleben. Und bring mich zum Arzt.«

    Ich telefonierte von der Untersuchungsliege aus, während der Arzt meine Schulter nähte. Ich rief Paritosh Shah, Kanta Bai und ein paar von meinen Jungs an und sagte ihnen, sie sollten sich bereithalten. Paritosh Shah berichtete, die Polizei sei schon am Tatort vor der Bar, und drei meiner Jungs seien tot. Pradeep Pednekar, Krishna Gaikwad und Qariz Shaikh waren ums Leben gekommen. Pradeep Pednekar war durch die Hüfte geschossen worden und dann noch mal aus nächster Nähe in den Kopf. Von Mohan Surve war nichts bekannt. Und ich hatte überlebt.
    Angeschossen zu werden ist eine eigenartige Erfahrung, mit nichts anderem vergleichbar. Als es passierte, war es mir zunächst nicht wirklich bewußt gewesen, ich hatte einfach nur das Weite gesucht, ich war gar nicht auf die Idee gekommen, daß das, was ich in meiner Haut und meinen Muskeln spürte, eine Kugel sein könnte, die sich in mich hineinbohrte. Die Schmerzen kamen erst später, erst als ich die Möglichkeit des Lebens auf der Zunge schmeckte, saftig wie eine Mango. Jetzt waren meine Brust und meine Schulter kalt, als

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