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Der Pate von Bombay

Titel: Der Pate von Bombay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vikram Chandra
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hätte jemand meine Knochen bis ins Mark gefrieren lassen und steche zugleich mit einer Eisspitze auf mich ein. Ich bat Chhota Badriya: »Bring mich nach Gopalmath.«
    Drei der Jungs kamen uns mit dem Auto beim Arzt abholen. Als sie Chhota Badriya und mich zum Wagen führten, umringten sie mich zum Schutz. Wir waren einander einmal fremd gewesen, aber nun verband uns etwas. Wir waren angegriffen worden, wir hatten überlebt, und jetzt empfanden sie so etwas wie Liebe für mich. Sie fragten mich: Alles in Ordnung, Bhai? Sitzen Sie bequem? Wir rasten über die leere nächtliche Straße nach Gopalmath. Ich hatte diese Geschwindigkeit vorgegeben, und sie gehorchten mir. Ich war ein einzelner Mann, der in dieser Nacht beinahe umgekommen war, und sie wichen nicht von meiner Seite.
    »Was machen wir jetzt?« fragte Chhota Badriya.
    »Sucht Mohan Surve.«
    Mein Haus in Gopalmath war bereits durchgecheckt, meine Jungs hatten es gleich zweimal auf den Kopf gestellt. Ich gelangte unbeschadet hinein, in mein Zimmer, auf meine Gadda. Für den Fall eines neuerlichen Angriffs postierte ich ein paar Jungs in den Randbezirken von Gopalmath, aber ich wußte, daß ich vorerst sicher war. Die bevölkerten Straßen waren mein Schutz, die Kinder, die durch die Gassen streiften, die Frauen, die in den Türen saßen. Sie kannten einander alle. An ihnen kam der Feind nicht vorbei, nicht ohne Verluste.
    »Sie sollten etwas schlafen«, sagte Chhota Badriya. Es war schon Morgen.
    »Ja.« Er hatte recht, es war sinnlos, mich völlig zu verausgaben. »Du auch. Aber sorg dafür, daß keine Lücke in der Wache entsteht.«
    Ich lag im Bett und schlotterte unter dem Laken. Immer wieder schüttelte es mich, erfaßte mich ein Zittern, das im Magen begann und dann in Brust und Hals aufstieg. Meine linke Körperhälfte schmerzte unablässig. Aber es waren nicht die Schmerzen, die mich wach hielten. Es war die Wut auf mich selbst, auf meine Dummheit. Im Rückblick lag es auf der Hand: Man kann nicht jemanden beobachten, ohne die Welt, in der er lebt, zu verändern, und wenn der Beobachtete wachsam ist, spürt er die kleinen Verschiebungen, das schwache Echo der Fragen, die man stellt. Sie hatten mich ebenfalls beobachtet und dieselben Schlüsse gezogen wie ich, sie hatten mich durchschaut, mein Handeln vorhergesehen und hätten meinen Gaand fast gekriegt. Sie hatten Ort, Zeitpunkt und Methode gewählt und den Krieg erklärt. Wenn nicht dieser zufällige Blick zurück gewesen wäre, dieses Zusammenspiel von Zeit und Bewegung, diese Kugel, die in einem ganz bestimmten Winkel und keinem anderen durch die Luft sauste, wenn, wenn, wenn, dann hätte ich tot vor dem Mahal gelegen, wieder ein Nichts, ein Schwacher, der noch schwächer geworden war. Der Krieg hätte begonnen und wäre sofort vorbei gewesen. Meine Dummheit, meine Blindheit waren kaum zu ertragen.
    Schließlich ließ ich von den Ereignissen des Abends ab, denn man kann die Vergangenheit doch nicht ändern, nur Abstand zu ihr gewinnen. Ich schnitt sie wie mit einem Skalpell aus mir heraus. Für dich ist die Zukunft da, sagte ich mir. Du bist ein Mann der Zukunft. Ich schmiedete Pläne. Und ich schlief.
    Am nächsten Tag ging ich zum Gegenangriff über. Sie wußten, daß wir sie beobachteten, aber sie konnten nicht alles vor uns verbergen. Wir wußten zumindest ein paar Dinge, zum Beispiel, was für Geschäfte sie machten, wo sie hingingen. Am nächsten Tag brachten wir fünf von ihnen um. Einen der beiden Überfälle führte ich selbst an. Mir fiel es schwer, mich zu bewegen, ich konnte den rechten Arm nur mit Mühe heben, aber meine Jungs schauten auf mich, und dies war ein wichtiger Moment. Also setzte ich mich vorne ins Auto, neben Chhota Badriya, der am Steuer saß. Auf der Rückbank saßen drei weitere Jungs. Wir warteten vor Kamaths Hotel auf den Feind, denn wir wußten, daß die Cobra-Gang dort die Zahlungen eines Bauunternehmers entgegennahm. Es war sechs Uhr abends, und die Straßen waren voll heimkehrender Arbeiter, die lange Schatten warfen. Wenn ich die Augen schloß, sah ich noch die grelle Sonne, sie flimmerte in meinem Kopf.
    »Da sind sie«, sagte Chhota Badriya.
    Sie waren zu dritt, junge Kerle, mit weißem Hemd und gebügelten Hosen, wie anständige Geschäftsleute, die sich in der normalen Welt ihr Geld verdienen. Der mittlere hatte eine Plastiktüte in der Hand.
    »Fahr hinter ihnen her«, sagte ich.
    Wir folgten ihnen über den Parkplatz, bogen nach rechts, als sie die Treppe vor

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