Der Pate von Bombay
du bitten wirst.«
»Das ist ja wohl sonnenklar«, sagte ich. »Selbst er weiß es schon, falls es ihn gibt und er überhaupt etwas weiß.« Ich deutete mit einer Kopfbewegung die Treppe hinauf, wo Ganesha saß, der angeblich alles wußte.
Sie schüttelte den Kopf. »Er kann dir nicht geben, was du nicht mit eigenen Händen entgegennimmst.«
»Wie meinst du das?«
Sie hatte den Kopf tief über die Silberschale geneigt und schob die kleinen Häufchen aus Reis, Sindur und Blütenblättern zurecht. In ihrem Nacken wölbten sich dicke Hautfalten. »Sie werden dich umbringen«, sagte sie. »Du wirst sterben.«
Wir gingen ruckartig drei Schritte vor, die Stufen hinauf. Auf der anderen Seite kam ein stetiger Strom von Gläubigen eilig die Treppe herunter, voller Hoffnung und frischen Mutes, nachdem sie dem Gott gegenübergestanden, ihn gesehen und sich ihm gezeigt, ohne Scham ihre Bedürftigkeit und ihren Schmerz offenbart hatten. »Warum?« fragte ich.
»Weil du kämpfst wie ein Dummkopf. Den Helden spielen, hier eine Schießerei und da eine Schießerei, so gewinnt man nicht. Die anderen werden gewinnen. Sie haben schon gewonnen. Du denkst, bei einem Krieg geht es darum, den anderen zu zeigen, daß du den größten Lauda hast.«
Meine Pistole steckte in meinem Hosenbund, drückte gegen meinen Bauch, und als Kanta Bai das sagte, ohne mich auch nur eines Blickes zu würdigen, hätte ich am liebsten die Waffe gezogen und sie abgeknallt. Ich hätte es leicht tun können, sah deutlich vor mir, wie ich es tat, Wut stieg mir in die Kehle, dann in den Kopf, ein heiseres Summen, und vernebelte mir die Sinne. Ich wischte mir mit dem Handrücken die Tränen ab und sagte: »Und was soll ich tun?«
»Kämpfe, um zu gewinnen. Es kommt nicht darauf an, wer mehr Männer tötet. Es ist egal, ob ganz Bombay denkt, daß du verlierst. Das einzige, worauf es ankommt, ist zu siegen.«
»Und wie?«
»Du mußt ihnen den Kopf abschneiden.«
»Rajesh Parab töten?«
»Ja. Wobei der ein alter Dummkopf ist. Er ist zwar der Boß, aber dem fällt nichts Neues mehr ein.«
»Dann ist es Vilas Ranade. Er ist der entscheidende Mann.«
»Ja«, sagte sie. »Wenn du Vilas Ranade erwischst, dann sind sie blind und taub.«
Vilas Ranade war der entscheidende Mann. Er war Rajesh Parabs General, er hatte uns dezimiert, getäuscht, war vor uns gegangen, wenn wir ihn hinter uns vermutet hatten, und hatte uns zerstört. Ich wußte jetzt, daß er sie im Krieg angeführt hatte. Aber ich wußte nach wie vor nichts über ihn, ob er eine Frau hatte, Söhne, wie er aussah, wo er hinging. So wie es sich mir darstellte, hatte er keine festen Gewohnheiten, keinen Wohnort, keine Leidenschaften. Ich wußte nicht, wie man einen Mann aufspürt, der nur für den Krieg lebt. »Ich habe ja nicht einmal ein Foto von ihm«, sagte ich.
»Sie halten ihn von der Stadt fern«, sagte sie. »Pune, Nashik, irgendwo da. Sie holen ihn nur, wenn es Ärger gibt.«
»Er schläft, bis es Zeit ist, ihn zu wecken?«
»Einen guten Scharfschützen schickt man nicht auf Botengänge zur Stadtverwaltung. Das wäre Verschwendung und außerdem zu riskant. Und er ist ein erstklassiger Schütze. Er ist schon lange dabei, zehn, zwölf Jahre.«
»Hast du ihn mal gesehen?«
»Nein, nie.«
Ich schwieg die restliche Zeit, während wir die Stufen hinauf- und in den Tempel hineingingen, und als wir schließlich vor Ganesha standen, bat ich ihn um gar nichts. Ich betrachtete ihn nur, die Schlinge und den Stachelstock, die Laddoos und den abgebrochenen Stoßzahn, und fragte mich, wie der Beseitiger von Hindernissen ein Hindernis beseitigen würde, das er nicht zu fassen bekam. Wir mußten weitergehen, denn die Massen von Gläubigen drängten unerbittlich, aber ich hatte sein Bild den gesamten Heimweg über im Kopf. In Juhu gerieten wir in einen gewaltigen Stau, Kanta Bai schlief neben mir ein, ihr Prasad aus dem Tempel umklammernd. Ich lauschte ihrem Schnarchen und dachte angestrengt nach. Meine Schulter brannte, kleine Wirbel stechenden Feuers, aber mein endloses Im-Kreis-Denken war schmerzhafter: Ich sah die Spieler, sah die Straßen und Gebäude, in denen sie zugange waren, Gopalmath, Nabargali, hatte es alles vor mir, sobald ich die Augen schloß, drehte und wendete es endlos hin und her, auf der Suche nach einer Bresche, einer Möglichkeit, alles auseinanderzureißen und neu zusammenzusetzen. Draußen jaulte und röchelte der Verkehr, und wir saßen hier, atmeten noch, waren noch am
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