Der Pate von Florenz
ihn wiegen und bei mir im Haus herumkrabbeln sehen? Nein, ich werde bestenfalls dann und wann einen kurzen Blick aus der Ferne auf meinen Enkel werfen dürfen.« Kummervoll stand er da, auf seinen Stock gestützt. Dann jedoch zwang er ein schwaches Lächeln auf sein Gesicht. »Aber was rede ich da die ganze Zeit von meinen Kümmernissen, als wäre ich der Einzige auf der Welt, dem das Leben nicht nach Wunsch verläuft! Entschuldige, Marcello! Und nun erzähl mir von dir und von deiner Familie und welche Pläne du hast. Ich habe gehört, dass du die Ziegelei deines Vaters übernommen hast und dich ganz prächtig machst. Aber etwas anderes hätte ich von dir auch gar nicht erwartet.«
Marcello machte ihm die Freude und erzählte ein wenig von sich und von seiner Arbeit, wobei er jedoch darauf verzichtete, ihm zu gestehen, dass er die Ziegelei auf keinen Fall für den Rest seines Lebens zu führen gedachte.
Schließlich war es Zeit, sich voneinander zu verabschieden.
»Bestellt Fiora Grüße von mir«, sagte Marcello unbedacht. Am liebsten hätte er sich auf die Zunge gebissen.
Bellisario lächelte. »Das werde ich gern tun, Marcello. Und vielleicht schaust du ja mal wieder bei uns vorbei.«
»Das kann sein«, antwortete Marcello ausweichend, wünschte ihm noch einen guten Tag und eilte dann in entgegengesetzter Richtung davon. Immer wieder fragte er sich, welcher Teufel ihn gerade geritten hatte, Fiora Grüße von ihm auszurichten.
Dieselbe Frage stellte er sich zwei Tage später, als er sich auf seinem Weg zur Ziegelei dabei ertappte, dass er wie selbstverständlich den Umweg über die Via dei Ferravecchi machen wollte. Abrupt blieb er stehen und hastete in die nächstbeste Seitengasse.
In der Woche darauf geschah etwas Ähnliches, fand er sich doch unversehens auf der Piazza vor der Kirche San Michele Berteide wieder, und zwar zu genau der Zeit, als die Besucher der Morgenmesse aus dem Gotteshaus strömten.
Und da sah er sie. Mit gesenktem Kopf kam sie aus der Kirche, gehüllt in einen weiten Umhang. Ein frischer Windstoß wehte über die Piazza und fuhr unter den Umhang, der sich aufblähte und öffnete, sodass Fioras gewölbter Leib zum Vorschein kam. Sofort zerrte sie ihn wieder zu – und hob unvermittelt den Kopf, als würde sie spüren, dass er sie ansah.
Ihre Blicke trafen sich.
Einen Augenblick lang standen sie reglos da. Die Menschen um sie herum verwandelten sich in blasse Silhouetten. Marcello spürte ihren Blick wie eine glühende Nadel, die ihm tief ins Herz stach und die die Wunde aufriss, die er schon längst für vernarbt gehalten hatte.
Dann schoss Fiora die Röte ins Gesicht. Ruckartig wandte sie den Kopf ab und hastete mit gesenktem Blick davon.
Diese kurze Begegnung und der Blick, den sie ausgetauscht hatten, gingen Marcello nicht mehr aus dem Kopf. Und in der Nacht träumte er nach langer Zeit zum ersten Mal wieder von ihr.
2
L orenzo Giustini war der geborene Schurke, deshalb fiel Graf Riarios Wahl auch auf ihn, als es im Februar dringlich wurde, einen Vertrauten zu Montefeltro zu schicken und ihm das Messer auf die Brust zu setzen – natürlich mit der gebotenen falschen Freundlichkeit und der Sorge, der Löwe von Urbino könne andernfalls bei der Verteilung der Beute leer ausgehen.
»Mach dem verdammten Condottiere gehörig Feuer unterm Arsch!«, gab der Graf Giustini mit auf den Weg. »Der Kerl soll sich zusammenreißen und gefälligst den Part übernehmen, für den wir ihn angeheuert haben und sündhaft teuer bezahlen!«
Giustini grinste. »Worauf Ihr Euch verlassen könnt! Es wird mir ein Vergnügen sein!«
Riarios Abgesandter war ein wieselgesichtiger Mann, klein von Wuchs, aber groß in schurkischer Durchtriebenheit und bereit, jegliche Schmutzarbeit für seinen Herrn zu erledigen. Er liebte das großspurige und hochmütige Auftreten eines Edelmannes. Dabei entstammte er einfachsten Verhältnissen. Seine niedere Herkunft und mangelnde Bildung hatten ihn jedoch nicht davon abgehalten, sich selbst zum Ritter zu schlagen und sich auch noch den Titel eines Doktors der Rechte zuzulegen. Damit und seltsamerweise auch noch mit einem päpstlichen Empfehlungsschreiben ausgestattet, war er nach Perugia marschiert und hatte dreist Anspruch auf den Posten des Hauptmanns der Stadtmiliz erhoben. Dort hatte eine kritische Prüfung der von ihm vorgelegten Unterlagen jedoch schnell zu dem Ergebnis geführt, dass er Ritterwürde und Doktortitel unrechtmäßig erworben hatte, worauf er
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