Der Pate von Florenz
eine Rast ein. Die Bediensteten, die vorausgeritten waren und den Lagerplatz vorbereitet hatten, sorgten dafür, dass es den vornehmen jungen Herren an nichts fehlte. Derweil ruhten sich die edlen Pferde in einem Pferch aus. Noch lag die Lichtung im weichen Schein der Nachmittagssonne, doch die dunklen Schatten der Dämmerung würden schon bald aus dem umliegenden Gehölz kriechen. Die Sonne hatte sich am westlichen Horizont den schirmartigen Baumspitzen schon bis auf eine Handbreite genähert.
Es herrschte eine heitere, ausgelassene Stimmung, angeregt vom Wein und von den aufregenden Jagderlebnissen des Tages. Geistreiche Bemerkungen und derbe Späße flogen zwischen den Freunden hin und her. Eine näselnde, kratzig hohe Männerstimme, die fremde Ohren anfangs zumeist als eher unangenehm empfanden, hob sich deutlich von den anderen ab. Sie war öfter als jede andere zu hören, was nicht verwunderlich war, gehörte sie doch dem Gastgeber Lorenzo de’ Medici.
»Gib uns noch eine Kostprobe deiner Dichtkunst, Lorenzo!«, rief jemand aus seiner brigata, seiner Gefolgschaft von Freunden, die alle aus reichen und vornehmen Patrizierfamilien stammten und zumeist einige Jahre älter waren. Sie verstanden es, wilde Feste zu feiern, und teilten mit Lorenzo die Leidenschaft für die Jagd und für die Schriften der antiken Denker und Philosophen.
Im Augenblick ging es jedoch nicht um bedeutungsschwere Literatur, sondern um eine Parodie, ein Spottgedicht aus Lorenzos Feder. »Nun komm schon! Wir sehen doch, dass dein Gedicht noch weitergeht!«
Lorenzo de’ Medici ließ sich nicht lange bitten. Er war in prächtiger Stimmung. Am Tag zuvor hatte er im Kreis seiner Freunde seinen achtundzwanzigsten Geburtstag mit einer aufwendigen Falkenjagd gefeiert. Und auch dieser zweite Tag in den Wäldern und zerklüfteten Bergschluchten des Mugello, diesem herben Landstrich des gebirgigen Apennin, war dem Vergnügen gewidmet. Das Wetter hatte ihnen einen fast wolkenlosen Himmel und für Anfang Januar sogar recht milde Tempera turen geschenkt, und der Gerfalke Morello hatte Lorenzos Erwartungen nicht nur erfüllt, sondern weit übertroffen. Den edlen Greifvogel hatte Pilato, sein erfahrener Falkner, schon längst wieder in das Gehege auf Cafaggiolo zurückgebracht.
Lorenzo gab dem Drängen seiner Brigata bereitwillig nach. »Also gut, dann hört euch an, um wen es sich bei diesen drei Pfaffen handelt.« Er faltete das Papier in seinen Händen wieder auseinander und begann, die nächsten Zeilen in rhythmischen Terzinen 1 zu rezitieren: »Der Dickste in Antella ist Prälat;/er hat, dieweil gekleidet er sehr schlicht,/ im Täschchen sein Fläschchen stets parat./Der andre, der ihm folgt, das Süßgesicht,/die Nase seltsam lang und spitz hat er,/ durchs Trinken sich das Himmelreich erricht’ , /als Fiesolaner Priester ist er wer;/für seinen Becher hegt er Devotion,/und Anton, sein Kaplan, geht nebenher … 2 «
Die Einzigen, die nicht in das johlende Gelächter der Männer rund um Lorenzo und Giuliano de’ Medici einstimmten, waren die beiden Zwillingsbrüder Alessio und Marcello Fontana. Aber das fiel niemandem auf, da sie abseits am Waldrand auf einem runden Felsbuckel saßen, der fast kniehoch aus dem Erdreich aufragte und von einem weichen Mooskissen bedeckt war.
Alessio hatte sich vor wenigen Augenblicken von den anderen entfernt, um im Schutz des Waldes einem dringenden Bedürfnis nachzugehen, und Marcello hatte sogleich eine ähnliche Entschuldigung gemurmelt und war ihm gefolgt. Er hatte die nur mühsam unterdrückte Verstimmung bei seinem zwölf Minuten älteren Bruder gespürt und die hielt er für den wirklichen Grund, warum Alessio sich so plötzlich von den anderen absondern wollte.
»Aber das hat Lorenzo bestimmt nicht so gemeint, wie du es aufgefasst hast«, redete Marcello ihm zu, während erneut schallendes Gelächter über die Lichtung brandete. Die Eingeweihten wussten sehr wohl, wer mit dem Priester aus Fiesole gemeint war, nämlich deren einstiger Bischof Antonio degli Agil.
»Und ob er es so gemeint hat!«, beharrte Alessio mit verdrossener Miene. »Du hast doch selbst gehört, wie er mich losgeschickt hat!« Und dann äffte er leise Lorenzos näselnde hohe Stimme nach: »Hol mir doch mal die kleine Ledertasche, die an meinem Sattel hängt, Alessio. Wie einen Laufburschen hat er mich behandelt! Dabei sind doch genug Diener hier, die das hätten tun können!«
»Aber wenn ich mich recht erinnere, hat Lorenzo
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