Der Pate von Florenz
als kleines Kind in seine Obhut genommen und wie einen Sohn aufgezogen hatte. Silvio war sein Liebling, wohl weil er in ihm seinen ersten Sohn Jacopo weiterleben sah. Doch Sandro besaß einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn und der sorgte dafür, dass er Silvio seinen eigenen Söhnen niemals vorzog. Im Gegenteil, Zurechtweisungen und Strafen fielen sehr viel härter aus, wenn Silvio sich etwas zuschulden kommen ließ, als wenn Alessio oder Marcello über die Stränge schlugen. Und was die Sache in Pisa anging, so kam erschwerend hinzu, dass es sich nicht um irgendeine jugendliche Unbesonnenheit handelte, sondern um eine folgenschwere Verfehlung.
Ja, sie hatte allen Grund, um Silvio besorgt zu sein.
4
D ie schweren hölzernen Schlagläden vor den beiden Fenstern der Goldschmiedewerkstatt, die zum Hinterhof mit dem kleinen Gemüsegarten hinausgingen, waren geschlossen und verriegelt. Dass dies am helllichten Tag geschah, wo doch jeder Handwerker möglichst viel Licht in seiner Werkstatt brauchte und erst recht Goldschmiede bei ihrer Feinarbeit mit kostbaren Materialien, blieb unbemerkt, denn das Haus auf der anderen Seite des Gartens, in dem die Familie Fontana fast ein Jahrzehnt lang gewohnt hatte, war nach deren Auszug unbewohnt geblieben.
Der neue Besitzer hatte vor vier Jahren mit umfangreichen Umbauarbeiten begonnen, diese aber irgendwann abbrechen müssen, weil er im Schuldturm gelandet war. Das Schiff, in dessen Fracht er sein ganzes Vermögen investiert hatte, war auf der Überfahrt von Marseille nach Livorno im Sturm gesunken. Es hieß, ein Gläubiger aus Prato hätte das Haus, das mit seinen herausgebrochenen Zwischenwänden, den halb aufgebrochenen Böden und den Schuttbergen im Innern wie eine Ruine aussah, als Teil der Schuldbegleichung erhalten. Dieser hatte bisher jedoch keine Anstrengungen unternommen, das Haus wieder bewohnbar machen zu lassen.
Fiora dankte dem Herrgott dafür und betete jeden Tag, dass ihnen die Ruine noch lange erhalten blieb. Denn nur von dort aus konnte man Verdacht schöpfen, dass es in der Goldschmiede von Emilio Bellisario nicht mit rechten Dingen zuging. Rechts und links von ihrem Hinterhof wuchsen fensterlose Brandmauern aus Backstein in die Höhe. Von dort hatten sie somit nichts zu befürchten.
»Jedes Werkzeug muss jederzeit an seinem angestammten Platz liegen, wenn es nicht gerade gebraucht wird. Feilen, Punzen, Treibhämmer, Dreuel, Kokillen, Schlegel und Zangen – sie alle haben einen festen Platz und da gehören sie hin, wenn die Arbeit getan ist«, rügte ihr Vater und klapperte ungnädig mit einigen noch nicht weggeräumten Werkzeugen. »Nimm dir das zu Herzen!«
»Ja, Vater!«, gab Fiora über die Schulter zurück, während sie mit dem Blasebalg die Kohlen in der rund gemauerten kleinen Feuerstelle aufglühen ließ. Die Hitze war noch längst nicht groß genug, damit sie den Schmelztiegel mit dem Bruchsilber in die Kohlen stellen konnte. »Ich werde gleich für Ordnung sorgen, das verspreche ich Euch.«
»Das mache ich selbst«, brummte er ein wenig versöhnlicher und nahm drei Feilen auf, um sie an der Wand hinter dem Werktisch in ihre Lederschlaufen zu stecken. »Sorg du dafür, dass die Glut nicht nur die richtige Hitze abgibt, sondern auch gleichmäßig verteilt ist.«
Kaum hatte er den Satz zu Ende gesprochen, da glitten ihm die Feilen aus den Händen und schlugen dumpf vor seinen Füßen auf die harten Holzbohlen auf.
Fiora zuckte zusammen und fuhr herum. Ihr Herz zog sich zusammen, als sie den beschämten und gleichzeitig verzweifelten Ausdruck auf dem Gesicht ihres Vaters sah, während er auf seine zitternden Hände schaute, als wären sie Fremde, die er noch nie zuvor gesehen hatte. Sie wusste nur zu gut, wie ihm zumute war und was ihn quälte.
Rasch legte sie den Blasebalg zur Seite, ging zu ihm und bückte sich nach den Feilen. »Grämt Euch nicht so sehr, Vater. Es wird auch wieder bessere Tage geben. Kommt, setzt Euch und ruht Euch aus«, redete sie ihm zu. Sie fasste ihn liebevoll am Arm und führte ihn hinüber zu dem Klappbett, das schon seit mehreren Jahren neben dem Tisch mit der Ziehbank stand.
»Wovon sollte ich mich denn ausruhen, mein Kind?«, fragte er bitter zurück, setzte sich jedoch, wie seine Tochter wünschte, auf das Klappbett. »Ach, mein Kind, wo soll das noch hinführen?«
Fiora ging nicht darauf ein, sondern griff zum Fläschchen mit dem Elixier und dem kleinen Holzlöffel. Beides stand stets griffbereit auf dem Bord
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