Der Pathologe weiß alles, ... aber zu spät.
klinischen Pathologie aufgetan, wo mit morphologischen und biochemischen Methoden versucht wird, den kranken Menschen zu helfen. Die klinische Pathologie steht im Zentrum der Medizin. Dort gehört sie hin und dort muß sie auch bleiben.
1 Theodor Billroth: Über Lehren und Lernen der medizinischen Wissenschaften. 1875.
Der medizinische Unterricht an der Wiener Universität wurde erst im 18. Jahrhundert durch Gerard van Swieten von den mittelalterlichen Formen befreit. Leichenöffnungen waren bis dahin nur vereinzelt an Krankheitsfällen von besonderem Interesse durchgeführt worden. Ein planmäßiges Studium der krankhaften Veränderungen gab es nicht. Das wurde alles anders, nachdem van Swieten als kaiserlicher Leibarzt das Medizinalwesen neu organisierte und die Erste Wiener Medizinische Schule gründete. Über jeden Patienten mußten genaue Aufzeichnungen geführt werden, nach jedem Todesfall fand eine Sektion statt mit angeschlossener Epikrise. Man betrieb „Anatomia practica“, so wurde die pathologische Anatomie damals genannt. Die Schüler van Swietens vertraten eine neue, aber einheitliche Geisteshaltung. Was man am Krankenbett sah, hörte, beklopfte oder tastete, erhielt erst durch die Anatomia practica Gewißheit und Gültigkeit. Die klinisch tätigen Ärzte haben die Leichen ihrer Patienten eigenhändig seziert, jeder Spitalsarzt war sein eigener Prosektor. Eine Arbeitsteilung zwischen Klinikern und Pathologen gab es nicht.
Erst Johann Peter Frank, Direktor des Allgemeinen Krankenhauses von 1795 bis 1804, ließ eine „ Todtenkammer“ im 10. Hof (heute: Ecke Spitalgasse/Sensengasse) in eine Prosektur umbauen „mit einer Küche, einem Sectionslocale und einem Zimmer für den Prosektor“. Hier begann Aloys Rudolph Vetter (1765-1806) im Jahre 1796 mit seiner Tätigkeit. Er war der erste einer langen Reihe von Wiener Pathologen, worunter sich einige außergewöhnliche Persönlichkeiten befanden.
Denkt man an Vetter, so gebietet es die historische Gerechtigkeit zu betonten, daß dieser erste Denker in der pathologischen Anatomie ein typisch österreichisches Schicksal erlitt. Der Neid auf seine Begabung, die Eifersucht auf seine Erfolge als Lehrer und Buchautor und der Hochmut einflußreicher Ärzte und Politiker verbanden sich mit einer kleinlichen bürokratischen Pedanterie zu einem Kampf gegen ihn, in welchem er schließlich unterlag. Eine seiner Tätigkeit entsprechende und finanziell lohnende Stellung wurde ihm in Wien nie geschaffen. Im Gegenteil: Die Sorgen des Lebens und die anstrengende Berufsarbeit zerrütteten seine Gesundheit, er mußte, um überhaupt leben zu können, 1803 die Professur der Anatomie und Physiologie an der Chirurgenschule in Krakau annehmen. Mit 41 Jahren ist er an Tuberkulose gestorben.
„Erfolg ist das letzte, was einem Österreicher verziehen wird.“ Hans Dichand
Vetter mußte 1803 gehen, Frank ein Jahr später. Die klerikalen Widerstände gegen ihn wurden zu groß. Einerseits weil er Freimaurer gewesen war, was damals unter Kaiser Franz II. (I.) gerichtlich verfolgt wurde, und andererseits weil er in seinem weltberühmten Buch „System einer vollständigen medicinischen Polizey“ Band 1,1. Abteilung, 2. Abschnitt, ausführlich „Von dem geistlichen Cölibatleben“ geschrieben hatte und letzteres dabei diskret kritisierte. Also hat man den damals bedeutendsten Wiener Arzt hinausgeekelt; er ging, als Leibarzt des Zaren, nach Wilna in Rußland.
Seine letzte Audienz beim Kaiser hatte Frank am 1. Februar 1804. Ein übelgelaunter Monarch empfing ihn: „Ich weiß, warum Sie kommen. Ich gestehe, es ist mir gleichgültig, ob Sie nach Wilna fahren oder nicht. Ihr Herren Gelehrten seid zu mißtrauisch. Man weiß nicht, wie mit Euch umzugehen ist. Ihr habt hitzige Köpfe.“ Worauf Frank entgegnete: „Das ist deswegen, Majestät, weil wir mit den Köpfen arbeiten.“
„Seltsamer Zufall, daß alle die Menschen, deren Schädel man geöffnet hat, ein Gehirn hatten.“ Ludwig Wittgenstein
Nachfolger Franks war der Staatsrat Joseph Andreas Freiherr von Stifft (1760-1836), der unter Kaiser Franz, dessen Leibarzt er war, das Gesundheitswesen reglementierte, wobei er sich als Feind aller Neuerungen erwies. Überdies war er kein sehr guter Arzt. Aber als Leibarzt und ständiger Besucher am kaiserlichen Hof wußte er über so viele intime Interna des Herrscherhauses Bescheid, daß man ihn später nicht mehr loswerden konnte.
Als während einer schweren Erkrankung des Kaisers
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