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Der Pathologe

Der Pathologe

Titel: Der Pathologe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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waren in großer Zahl auf der Straße, in falsche Pelze und wattierte Ski-Anoraks gehüllt – kurze Jacken, die gute Sicht auf wohl geformte, durch hohe Absätze noch länger wirkende Beine gestatteten.
    Junge Beine, alte Gesichter. Eine tänzelnde, stolzierende Parade. Sehr wenig Autoverkehr. Außer den Straßenmädchen war niemand bereit, der Kälte zu trotzen.
    Dirgrove fuhr an ihnen vorbei, ohne zu merken, dass Jeremy ihm mit ausgeschalteten Scheinwerfern im Abstand von einem Häuserblock folgte.
    Es war dumm und gefährlich, so zu fahren: Zweimal konnte Jeremy es nur knapp vermeiden, unter Rauschgifteinfluss stehende Frauen anzufahren, die vom Bordstein auf die Straße getreten waren.
    Seine Belohnung: Verwünschungen und hochgereckte Mittelfinger, aber was sollte er sonst machen? Im schlimmsten Fall würde ihn ein Cop wegen eines Verkehrsverstoßes an den Straßenrand winken, aber das war nicht sehr wahrscheinlich. Keine Streifenwagen in Sicht. Zu kalt für die Cops.
    Das brachte ihn auf einen anderen Gedanken: Auf diesen übelsten aller Straßen war überhaupt keine Polizei präsent.
    Trotz aller Beteuerungen Doreshs, in den Mordfällen werde ermittelt, waren diese Frauen entbehrlich, niemand scherte sich um sie. Tyrene Mazurskys Name hatte es bis in die Zeitung geschafft, aber das nächste Opfer, die Frau auf der Sandbank, hatte nicht einmal das verdient. Wenn das so weiterging, würde die nächste mit keiner Zeile erwähnt werden.
    Zweckdienlichkeit siegt über Tugend.
    Dirgrove fuhr mit einer gemäßigten Geschwindigkeit weiter, an ganzen Scharen von Nutten vorbei. Jeremy wartete darauf, dass er sich sein Opfer aussuchte, aber der Buick wurde nicht langsamer, fuhr mitten durch Iron Mount, unter einer Brücke hindurch, passierte dann ein Gebiet voller Geschäfte mit geschlossenen Fensterläden und gelangte in das benachbarte Stadtviertel.
    Hier waren die Mieten ebenfalls niedrig; Jeremy wusste nicht genau, ob dieser Bezirk einen Namen hatte. Kein richtiges Wohnviertel, nur ein dunkles Gebiet voller Läden, die bereits geschlossen hatten.
    Großhändler und kleine Fabriken. Hier gab es keine Straßenprostitution. Dafür bestand auch kein Grund. Die nächste Kneipe, das nächste Striplokal, der nächste Dealer waren eine gute Meile entfernt.
    Menschenleer.
    Bis auf die Frau, die aus dem Schatten an den Bordstein trat, hinter ihr ein langer Maschendrahtzaun. Sie wartete, wippte auf Bleistiftabsätzen auf und ab.
    Als der unauffällige blaugraue Buick neben ihr hielt, warf sie ihre Haare zurück.

43
    Die Prostituierte stieg in Dirgroves Wagen ein, und Jeremy saß dreißig Meter weiter mit ausgeschalteten Scheinwerfern in seinem Nova. Der Motor war ebenfalls ausgestellt; weder Abgase noch Geräusche verrieten seine Anwesenheit.
    Zwischen ihm und dem Buick standen zwei geparkte Wagen. Er öffnete sein Fenster und steckte den Kopf nach draußen, um sich einen besseren Überblick zu verschaffen. Kalte Luft brannte in seiner Lunge. Er hieß den Schmerz willkommen.
    Der Zündschlüssel steckte im Schloss, damit er dem Buick jederzeit ohne Verzögerung folgen konnte. Ihm war klar, dass er zur Stelle sein musste, falls –
wenn
die Situation scheußlich wurde.
    Er musste sie irgendwo hinbringen. Durfte keine Spuren in seinem Wagen hinterlassen.
    Er braucht Platz für seine Arbeit. Eine Sektion – eine improvisierte Operation in den Eingeweiden der Slums …
    Die Scheinwerfer des Buicks erloschen. Weißer Rauch stieg aus den Auspuffrohren und verflüchtigte sich. Der Wagen stand einfach da, fünf Minuten, zehn, fünfzehn. Nach zwanzig Minuten ergriff Jeremy leichte Panik, und er fragte sich, ob er sich furchtbar geirrt hatte. Was, wenn Dirgrove es doch im Wagen tat? Vielleicht war das der Grund dafür, dass er einen alten fuhr. Nein, zu unvorsichtig. Das Blut bekam man nie ganz weg – vielleicht betäubte er sie im Wagen, würgte sie … Sollte er einen Blick aus der Nähe riskieren?
    Das Geräusch einer zugeschlagenen Autotür zerriss seine Gedanken.
    Die Prostituierte war ausgestiegen, zupfte an ihrer Kleidung herum. Sie winkte dem Buick zu, und Dirgrove fuhr davon.
    Jetzt musste er sich entscheiden: Sollte er dem Wagen folgen oder mit der Frau reden? Sie warnen.
Ja, er ist ein charmanter Bursche, diesmal sind Sie ohne Schwierigkeiten davongekommen …
    Die Prostituierte ging mit klappernden Absätzen und schwingendem Hinterteil auf langen, stelzengleichen Beinen die Straße hoch.
    Sie stieg in eins der dort

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