Der Pathologe
liebendem Gedenken an seine Familie.
Vor vier Jahren.
Mr. Harrison Maynard, in liebendem Gedenken an seine Mutter Effie Mae Maynard und Dr. Martin Luther King.
Im selben Jahr.
Dito:
Mr. Edgar Molton Marquis, in liebendem Gedenken an die Insel Kurau.
Und:
Dr. med. Arthur Chess, im Gedenken an Sally Chess, Susan Chess und Arthur Chess junior.
Arthur hatte seine ganze Familie verloren.
Zu furchtbar, um darüber nachzudenken, und Jeremy konnte sich dieses Maß an Empathie im Augenblick nicht erlauben. Er stopfte die Verpackung des Kokosriegels in seine Tasche, ging durch die Eingangshalle zurück und auf das Entwicklungsbüro zu.
»Entwicklung« war der Krankenhaus-Jargon für Spendenbeschaffung, und Jeremy erinnerte sich, dass das Büro mit schlanken, geschwätzigen jungen Frauen in Designer-Kostümen besetzt war und von einem Angeber namens Albert Trope geleitet wurde. Es war 18.20 Uhr – er hatte noch ein wenig Zeit. Dirgrove fuhr selten vor halb sieben, sieben nach Hause. Die nicht-medizinischen Mitarbeiter verließen das Krankenhaus deutlich vor fünf, also war das Büro wahrscheinlich nicht mehr geöffnet.
Die geschwätzigen jungen Frauen waren tatsächlich schon weg. Aber die Tür stand offen, und ein Hausmeister – ein verdrießlich dreinblickender Slawe, vermutlich einer der Einwanderer, die das Krankenhaus seit einiger Zeit einstellte, weil sie sich im Arbeitsrecht nicht auskannten – fuhr mit einem Staubsauger über den dicken blauen Teppichboden.
Jeremy, dessen Mitarbeiter-Ausweis außen an seinem Kittel steckte, ging direkt an dem Mann vorbei auf ein unechtes Regency-Bücherregal in einer Ecke des großzügigen Empfangsraums zu.
Gutes Parfum –Überbleibsel der jungen Frauen – hing in der Luft. Der ganze Raum war stilistisch unglaublich aufgebrezelt: Er sah aus wie die Filmkulisse eines französischen Salons. Damit sich die Leute mit den tiefen Taschen ganz wie zu Hause fühlten …
Der Hausmeister ignorierte Jeremy, während dieser das Regal durchstöberte. Eingeordnet waren Empfehlungsschreiben zufriedener Patienten in Plastikhüllen, Fotoalben süßer kleiner Kinder, die am City Central kuriert worden waren, überschwängliche Berichte von Besuchen berühmter Persönlichkeiten mit den dazugehörenden PR-Fotos und Jahrgänge über Jahrgänge von Spendenbeschaffungs-Ephemera.
Inklusive Journale von der wichtigsten Veranstaltung des Krankenhauses, dem jährlichen Galaball.
Jeremy hatte vor zwei Jahren an einer Gala teilgenommen. Man hatte ihn gebeten, eine Rede zum Thema Humanismus zu halten und vor dem Festessen zu gehen.
Er entdeckte die Ausgabe von vor vier Jahren. Vorne befand sich eine Erläuterung der verschiedenen Beitragsstufen. Innerhalb jeder Stufe waren die Namen alphabetisch aufgeführt.
Spender, Sponsor, Pate, Stifter, Kreis des Goldenen Bandes.
Stifter wurde man mit einem Beitrag von zwanzigtausend Dollar. Die CCC-Leute hatten großzügig gespendet.
Er stieß auf ein Bild, das sie alle zusammen zeigte. Arthur umgeben von Balleron, Marquis, Maynard und Levy.
CCC … der City Central Club?
Also war das der Punkt, an dem es begonnen hatte. Fünf Altruisten, die sich für das Allgemeinwohl zusammenfanden, etwas entdeckt hatten, was sie verband.
Ohne Zweifel hatte Arthur – der charismatische, gesellige, wissbegierige Arthur – eine entscheidende Rolle dabei gespielt, sie zusammenzubringen.
Der Mann hatte seine Familie verloren, also konnte man ihm seinen Enthusiasmus für einen Freundeskreis nachsehen. Für Gerechtigkeit.
»Sie müssen gehen«, sagte der Hausmeister. Er hatte den Staubsauger abgestellt, und im Empfangszimmer war es still geworden.
»Klar, danke«, sagte Jeremy. »Guten Abend.«
Der Mann grummelte und zupfte an seinem Ohr.
Um zwanzig vor sieben kam Jeremy am Hale Boulevard an, fand einen großartigen Beobachtungsposten und wartete, bis Dirgrove um neun Uhr endlich auftauchte.
Die letzten drei Nächte war Dirgrove zu Hause geblieben, und Jeremys Erwartungen waren nicht sonderlich hoch. Aber als Dirgrove seinen Wagen in der kreisförmigen Zufahrt stehen ließ und der Portier ihn nicht einparkte, wusste Jeremy, dass diese Nacht anders verlaufen würde.
Na also, Ted. Mach mir das Leben ein bisschen leichter.
Um Viertel nach elf erschien Dirgrove, ließ sich seine Schlüssel aushändigen, gab dem Nachtportier ein Trinkgeld und fuhr los.
Nach Süden.
Richtung Iron Mount.
Direkt
nach Iron Mount. Der Regen hatte nachgelassen, und die Prostituierten
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