Der Pathologe
parkenden Autos.
Ein Straßenmädchen mit eigenem fahrbarem Untersatz. Das war etwas ganz Neues.
Netter Wagen, ein Lexus, eines der kleineren Modelle, helle Farbe, glänzende Radkappen.
Vielleicht hatte die hier keinen Zuhälter und behielt ihre ganzen Einnahmen.
Aber hier draußen zu arbeiten, abseits von der Fahrzeugkolonne potenzieller Kunden, die durch Iron Mount rollte, wie lukrativ konnte das schon sein? Und warum sollte sie auf einer bitterkalten Straße arbeiten, wenn sie sich so einen Wagen leisten konnte?
Es sei denn, diese hier war auf Qualität aus, nicht auf Quantität. Auf Männer wie Dirgrove, die einen Zuschlag für das bezahlten, was immer sie zu bieten hatte.
Der Lexus löste sich vom Bordstein. Jeremy wartete, bis sie rechts um die nächste Ecke gebogen war, bevor er den Zündschlüssel herumdrehte.
Sie fuhr in die Innenstadt. Überprüfte ihr Aussehen im Rückspiegel, führte ein Gespräch mit ihrem Mobiltelefon, fuhr aber abgesehen davon vorsichtig, zurückhaltend, und machte keine Anstalten, sich um weitere geschäftliche Kontakte zu bemühen.
Ein guter Kunde pro Nacht? Was hatte sie für ihn
getan
?
Der Lexus näherte sich dem Krankenhausbezirk. Näherte sich dem City Central.
Die Prostituierte fuhr in eine ruhige Straße beim City Central. Nur wenige Meter vom Parkplatz der Krankenschwestern entfernt, wo Jocelyn ihrem Mörder begegnet war. Sie parkte und schaltete die Scheinwerfer aus.
Sie blieb dort vier Minuten stehen, in denen Jeremy sah, wie sie die Arme hob und ein Kleidungsstück über den Kopf zog. Dann wurde ein anderes Teil – etwas mit langen Ärmeln – an seiner Stelle hinuntergerollt.
Sie zog sich um.
Als sie fertig war, zog sie erneut ihren Rückspiegel zu Rate und schaltete die Innenbeleuchtung ein. Nicht lange genug, um einen guten Blick auf sie zu erhaschen, aber Jeremy konnte sehen, was sie tat. Sie zog ihre Lippen nach. Dann fuhr sie wieder los.
Einen Häuserblock weit. Zum Ärzteparkplatz.
Jeremy folgte ihr, nun ohne jede Heimlichkeit, weil dies ein Ort war, wo er hingehörte.
Sie ebenfalls. Sie schob eine Karte in den Schlitz, und die Schranke ging hoch.
Sie parkten beide. Der Lexus war hellblau. Als sie ausstieg, erkannte er eine Ärztin in ihr, die er schon mal gesehen, aber nie kennen gelernt hatte. Er war ziemlich sicher, dass sie eine Internistin war, die erst seit kurzem im Krankenhaus arbeitete.
Mitte vierzig, gute Figur, angenehmes, aber nicht sonderlich markantes Gesicht, blonde Haare, die zu einem praktischen Bubikopf geschnitten waren. Sie trug einen knielangen, anthrazitfarbenen Wollrock anstelle des Minirocks, den sie während ihres Stelldicheins mit Dirgrove angehabt hatte. Das Kleidungsstück, das sie sich über den Kopf gestreift hatte, war ein pinkfarbener Kaschmirpullover mit Rollkragen, der rasch unter einem langen grauen Mantel mit Fischgrätmuster und einem schwarzen Samtkragen verschwand. Pumps mit Pfennigabsätzen waren durch Halbschuhe ersetzt worden. Sie trug eine Brille.
Als Jeremy auf dem Weg zu dem überdachten Gang an ihr vorbeiging, lächelte sie ihn an und sagte: »Brrr, ist das kalt.«
Jeremy lächelte zurück.
Diamantenbesetzter Ehering an ihrem Finger. Wie hieß sie noch gleich? Gwen Soundso …
Sollte er sie warnen?
Oder musste man andere Frauen vor
ihr
warnen?
Alle zwei Jahre wurde ein Buch mit den Porträts des ärztlichen Personals herausgegeben. Jeremy hatte es nie für notwendig gehalten, in seinem nachzuschlagen, war sich nicht mal sicher, ob er es behalten hatte. Aber er fand es in seiner untersten Schreibtischschublade. Hunderte von Gesichtern, aber nur zwanzig Prozent waren Frauen, also hatte er sie relativ bald gefunden.
Dr. med. Gwynn Alice Hauser. Innere Medizin.
Eine Assistenzprofessorin.
Dr. Hauser führte ein Doppelleben.
Wie weit ging sie dabei?
Während der nächsten vier Tage beobachtete Jeremy Gwynn Hauser auf den Stationen und im Speisesaal der Ärzte. Sie gab durch nichts zu verstehen, dass sie Dirgrove kannte, aß entweder allein oder in der Gesellschaft anderer Frauen. Sie war ein fröhlicher Typ, lachte gern und neigte zu extravaganten Gesten. Wenn sie in ein Gespräch wirklich vertieft war, nahm sie ihre Brille ab und beugte sich vor. Hörte aufmerksam zu, als ob das, was ihr Gegenüber zu sagen hatte, unglaublich tief schürfend wäre.
Einmal aß sie mit einem großen, dunklen, gut aussehenden Mann in einem blauen Zweireiher zu Mittag, der das rechteckige, leidenschaftslose Gesicht
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