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Der Pathologe

Der Pathologe

Titel: Der Pathologe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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ein seltenes Beispiel für Kohärenz und Urteilsvermögen in dem mit Recht so genannten
Foggy Bottom

    »Dem Außenministerium«, sagte Arthur, als erkläre er es einem Schulkind.
    Alle lächelten wieder, Marquis eingeschlossen. Kein amüsiertes Lächeln – es schien zu sagen:
Machen wir’s uns gemütlich!
Alle gaben sich Mühe, freundlich zu sein.
    Sie behandeln mich,
dachte Jeremy,
mit der nervösen Reverenz, die für ein kluges, aber unberechenbares Kind reserviert ist.
    Als wäre ich eine Art Gewinn.
    Edgar Marquis verlagerte sein Gewicht. »Dr. Carrier«, sagte er mit einer schockierend klangvollen Stimme, »ich bin nicht mehr gezwungen, diplomatisch zu sein, also verzeihen Sie mir, wenn ich gelegentlich in die Realität verfalle.«
    »Solange es nur gelegentlich ist«, sagte Jeremy, um scherzhaftes Geplänkel bemüht. Weil er wollte, dass Marquis – dass jeder von ihnen – sich wohl fühlte.
    Marquis sagte: »Ganz entschieden, Sir. Alles, was über gelegentlichen Kontakt mit der Realität hinausgeht, wäre bedrückend.«
    »Hört, hört!«, sagte Tina Balleron und tippte mit langen, gebogenen Fingernägeln gegen ihren Silberpokal.
    Der Mann ihr gegenüber – der Schwarze – sagte: »Die gelegentliche Berührung mit der Realität wäre für den Durchschnittsverbraucher ein Schritt nach vorn.« Er blickte Jeremy an. »Harry Maynard. Offensichtlich bin ich als Letzter an der Reihe. Das fünfte Rad am Wagen. Hmmm. Anscheinend ändern sich manche Dinge nie.«
    »Tz, tz«, machte Norbert Levy, dessen Bart sich zu einem Grinsen teilte.
    »Eine Frage von sozialer Bedeutung hat sich in unsere kleine Klausurtagung gedrängt«, sagte Edgar Marquis. »Sollen wir einen Untersuchungsausschuss bilden?«
    »Was sonst?«, entgegnete Harry Maynard. »Ich ernenne mich selbst zum Vorsitzenden. Ihr seid alle schuldig im Sinne der Anklage.«
    »Wessen schuldig?«, sagte Levy.
    »Such’s dir aus.«
    »Alle, die dafür sind«, erklärte Edgar Marquis, »sagen Ja.«
    Allgemeines Gelächter.
    »Da haben wir’s«, sagte Richterin Balleron. »Bürgerliche Demokratie vom Feinsten. Und jetzt benimm dich, Harry, wir kümmern uns schon noch rechtzeitig um dich.«
    Maynard schwenkte einen Finger hin und her. »Das Leben ist zu kurz für gutes Benehmen.« Er wandte sich wieder an Jeremy. »Ihre Ausbildung wird Ihnen hier zugute kommen. Erfreut, Sie kennen zu lernen, Kleiner.«
    Er war ein hoch gewachsener, massiger Mann in einem marineblauen Anzug, hellblauem Hemd und grünlich blauer Krawatte, und er war wahrscheinlich der jüngste der fünf – etwa Mitte sechzig. Seine Hautfarbe war ein wenig heller als die Walnusspaneele. Die Haare, die Eisenspänen glichen, waren kurz geschoren, und sein Schnurrbart war genauso breit wie sein Mund.
    »Last und niemals least«, sagte Arthur, »der unschätzbare Harrison Maynard. Er lebt in seiner eigenen Welt.«
    »Harry schreibt Bücher«, erklärte Tina Balleron.
    »Das war einmal«, sagte Maynard. An Jeremy gerichtet: »Schundromane. Schundromane unter Pseudonym. Hat großen Spaß gemacht. Ich habe das unerschöpfliche Östrogen-Reservoir ausgebeutet.«
    »Harrison hat ehedem praktiziert«, sagte Tina Balleron, »was man als romantischen Roman zu bezeichnen pflegte. Zahllose Frauen kennen ihn als Amanda Fontaine oder Chateleine DuMont oder Barbara Kingsman oder unter einigen ähnlichen vanillezuckrigen Decknamen. Er ist ein Meister des zerknitterten Mieders. Gott allein weiß, wie du deine Recherche betrieben hast, Harry.«
    »Durch Hinschauen und Zuhören«, sagte Maynard.
    »Das behauptest du«, erwiderte die Richterin. »Ich glaube, du hast zu oft Mäuschen gespielt.«
    Harrison Maynard lächelte. »Man tut, was man tun muss.« Sein Blick schwenkte zur Rückwand des Esszimmers. Die rechte Schwingtür war aufgegangen, und Laurent erschien und schob einen Servierwagen auf Rädern vor sich her. Der Mann mit dem Affengesicht hatte ein gestärktes weißes Kellnerjackett angezogen. Auf dem Wagen standen sechs Silberhauben. Hinter ihm marschierte eine Frau seiner Größe und seines Alters, die ein schwarzes Hemdblusenkleid trug und eine Magnumflasche im Arm hielt. Ihr dunkles Haar war nach hinten zu einem Knoten gebunden, ihre Haut hatte die Farbe aufgeschäumter Milch, und ihre Augen waren wie geröstete Mandeln – geneigt durch die leiseste Spur eines Epikanthus.
    Eine Eurasierin, entschied Jeremy. Als sie näher kam, trafen sich ihre Blicke. Sie lächelte schüchtern und blieb neben Edgar

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