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Der Pathologe

Der Pathologe

Titel: Der Pathologe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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Augen mussten sich ein weiteres Mal anpassen. Gedämpftes Licht. Sanftes bernsteinfarbenes, zärtliches Licht.
    Vor ihm erstreckte sich ein langer Flur, der mit goldfarbenem Vogelaugenahorn getäfelt war. Handgeschnitzte Paneele waren oben mit einer gekerbten Holzborte eingefasst. Unter seinen Füßen lag ein Teppichboden von einem tieferen Goldton, der so elegant war wie die Polsterung in Arthurs Lincoln. Die hohe Gipsdecke war gewölbt und mit einem blassgoldenen Blattmuster verziert.
    Ein Vogel in einem goldenen Käfig
, dachte Jeremy.
    Laurent führte sie durch den Korridor. Die Luft war warm und roch nach Rosenwasser. Der Gang endete an einer massiven Flügeltür. In die Mauerkrone über der Tür waren drei Buchstaben in floraler Schrift gemeißelt.
    CCC
    Das Jahr dreihundert?
    Etwas längst Vergangenes und Sowjetisches – war Arthur ein unbekehrter Kommunist?
    Jeremy fand den Gedanken amüsant, doch bevor er weitere Spekulationen anstellen konnte, hatte Laurent die Flügeltür weit geöffnet. Er und Arthur flankierten den Durchgang. Arthurs langer Arm machte eine ausholende, theatralische Geste. »Nach Ihnen, mein Freund.«
    Jeremy starrte in einen wunderschönen Raum. Vier Gesichter starrten zu ihm zurück.
    Ein Quartett lächelnder Gesichter.
    Ein anderes Schweigen – das plötzliche Verstummen eines Gesprächs, das abrupt abgebrochen wurde. Das Aroma gebratenen Fleisches drang ihm in die Nase. Seine Augen stellten sich auf eine weitere Lichtqualität ein: Dutzende abgedunkelter Kronleuchterbirnen. Ein riesiger Kronleuchter, eine Explosion kristallener Girlanden und Anhänger und Kugeln.
    Der Fleischgeruch war köstlich.
    Jeremy trat ein.
    Der Raum war mindestens sieben Meter hoch, so breit wie der Tanzsaal eines Châteaus und so lang wie eine Jacht. Wie draußen im Korridor waren die Wände aus Holz – gemaserte Walnuss in der Farbe von heißem Kakao, zum Leuchten gebracht durch verschiedene Lagen Politur, unterteilt in oktagonale Paneele und mit Schnitzereien verziert. Wo der massive Kronleuchter nicht aus Kerzen bestand, war er aus Sterlingsilber. Der Stuck an der Decke war gewölbt und mit Wirbeln und Medaillons geschmückt. Ein Dutzend Gemälde – pastorale Szenen – hing an Drähten, die man an soliden Deckenfriesen aufgehängt hatte.
    Zwei identische Schwingtüren befanden sich an der Rückseite des Raums, und Laurent verschwand durch eine von ihnen. Zwischen den Türen stand auf einer mit Messinguntersetzern ausgestatteten fürstlichen Anrichte ein Tafelaufsatz voll weißer Orchideen.
    Unter dem Kronleuchter befand sich ein mit vanillefarbenem Satinholz eingefasster Chippendale-Esstisch aus Mahagoni, in dem man sich spiegeln konnte. Lang genug für zwanzig Esser, aber gedeckt für sechs.
    Jeweils drei Gedecke auf den Längsseiten des Tisches. Ein Stuhl auf jeder Seite war leer.
    Arthur wies Jeremy nach links und nahm den Platz gegenüber auf der rechten Seite ein. »Meine Freunde, unser Gast, Dr. Carrier.«
    Vier Münder murmelten Höfliches.
    Drei Männer, eine Frau. Einer der Männer war schwarz. Wie die anderen hatte er einen schicken Anzug und eine ausdrucksvolle Krawatte an. Die Frau trug ein weißes Strickkleid und eine atemberaubende Kette mit schwarzpurpurnen Perlen in der Größe von Concord-Trauben.
    Alle vier waren ziemlich alt. Durch seine Anwesenheit senkte Jeremy das Durchschnittsalter erheblich.
    Wo ist der Kindertisch?
    Er versuchte so viele Details wie möglich zu registrieren, ohne unhöflich zu erscheinen. Die Gemälde schienen französisch zu sein. Alle befanden sich in verschlungenen, handgeschnitzten Rahmen und tendierten zum Süßlichen: üppige Wälder, honigfarbenes Sonnenlicht, umhertollende Faune, zartbrüstige Frauen mit leerem Blick in benommener Ruhestellung.
    Man hatte zusätzliche, mit himbeerroter Seide bezogene Sessel an die Wände gestellt, wo auch vier kleinere Sideboards standen. Weiße Marmorsäulen trugen kunstvoll bemalte chinesische Vasen. Geschickt platzierte dekorative Tische waren mit Einlegearbeiten verziert; eine Glasetagere enthielt Jadeschnitzereien. Jeremy kannte sich mit Antiquitäten ein bisschen aus; seine schwer geprüfte Großmutter väterlicherseits hatte einen Großteil ihrer Rente für ein paar gute georgianische Stücke ausgegeben. Die hier sahen besser aus als alles, was Grandma gesammelt hatte. Was war mit Grandmas Stücken geschehen …?
    Niemand sagte etwas. Die alten Leute lächelten ihn nach wie vor an. Halb rechnete er damit, den

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