Der Pathologe
Ansicht nach verdienten.
Die Hinweise am Tatort waren dünn: keine Spuren von gewaltsamem Eindringen, die Alarmanlage des Hauses war abgestellt worden, und der Mörder war offenbar durch die Verandatür hereingekommen, nachdem er das »großzügige Anwesen« durchquert hatte.
»Anonyme Quellen« spekulierten, dass Balleron mit seiner scharfen Zunge und seinen aggressiven Geschäftspraktiken den falschen Mann gegen sich aufgebracht hatte, und es wurden Vermutungen geäußert, dass es sich um einen Auftragsmord handeln könnte. Aber diese Theorie wurde nicht durch Ermittlungsergebnisse gestützt.
Die Frau des Opfers, Richterin Tina Balleron, war am Abend des Mordes nicht zu Hause gewesen – ein Abendessen mit Freunden – und hatte bei ihrer Rückkehr die Leiche entdeckt. Sie war befragt worden, aber ein Polizeisprecher legte Wert auf die Feststellung, dass sie nicht als Verdächtige angesehen würde.
Jeremy gab »Mordfall Balleron« als Suchbegriff ein und erzielte keine weiteren Treffer. Nachdem er sich aus dem Zeitungsarchiv ausgeloggt hatte, versuchte er es mit verschiedenen Internet-Suchmaschinen und stieß auf einen einzigen Bericht einer Nachrichtenagentur, der dem Archiv entgangen war: Sechs Monate nach dem Mord hatte die Polizei noch immer keine brauchbaren Spuren, und der Fall blieb offen.
Er kehrte zur Zeitung zurück und durchsuchte die nächsten Jahre nach einem Artikel über Tina Balleron. Nichts.
Eine derart prominente Frau, ein bemerkenswertes Verbrechen. Sie hatte Wert darauf gelegt, nicht ins Rampenlicht der Öffentlichkeit zu geraten.
Er suchte nach anderen Unternehmern aus Greenwood, die einem Mord zum Opfer gefallen waren, und fand nur einen Tod durch Unfall: Vor drei Jahren war ein Bauunternehmer namens Michael Srivac tödlich mit seinem Wagen verunglückt. Srivac, der vor allem Einkaufszentren baute, war dem Blatt einen Nachruf von vier Zeilen wert.
Anstelle von Blumen bitten wir um Spenden an die Gesellschaft für Familienplanung.
Jeremy brachte Ordnung in seine Gedanken. Robert Balleron war vor fünf Jahren ermordet worden. Tina Ballerons Cadillac war nicht viel älter. Der Immobilientycoon hatte seiner Frau kurz vor seinem Tod einen gepanzerten Wagen geschenkt.
Im Bewusstsein der Gefahr, in der sie schwebte.
Sie war am Leben geblieben. Und hatte Erfolg gehabt. War als Richterin zurückgetreten, in die Stadt gezogen und Mitglied im Haverford geworden.
Eine gute Methode, ein unauffälliges Leben zu führen, besteht darin, seinen Wohnsitz zu wechseln.
Perlen und Pelz und eine Pistole in der Handtasche … die Fröhlichste aller Witwen. Eine starke Frau, die auf sich selbst aufpassen konnte.
Jeremy dachte an etwas, das die Richterin vorhin gesagt hatte:
Wenn man eine gewisse Zeit gelebt hat, macht man seine Erfahrungen
.
Vielleicht tun sie einfach nur das, was richtig ist.
Waren
tragische Erfahrungen
das, was die CCC-Leute miteinander gemein hatten? Waren sie alle Opfer von Verbrechen? Erklärte das ihr gemeinsames Interesse am Ursprung der Gewalt?
Das passte zu der trüben Stimmung, die sich nach Maynards Bemerkung über den Raum gesenkt hatte, dass Zweckdienlichkeit über Tugend siege.
Endlich hatte er den Eindruck, dass er auf dem richtigen Weg war. Mit klopfendem Herzen gab er als Suchbegriff »Mordfall Chess« in das Archiv ein. Und fand nichts.
Das gleiche Ergebnis bei »Mordfall Marquis«. Mit dem Suchbegriff »Mordfall Levy« stieß er auf den Fall einer vermissten Assistenzärztin in Washington, aber eine Verbindung zu Professor Norbert Levy konnte Jeremy nicht feststellen.
In den allgemeinen Datenbanken kam er mit den Suchbegriffen auch nicht weiter.
Wrong Man. Vielleicht sollte er sich einfach langsam damit abfinden.
Die dritte Postkarte traf drei Tage später ein. Während dieser Zeit hatte Jeremy einmal mit Angela zusammen einen Kaffee getrunken, und einmal hatten sie sich zu einem schnellen gemeinsamen Abendessen im Speisesaal der Ärzte getroffen, bevor sie wieder zu ihrem Bereitschaftsdienst zurückgeeilt war. Beide Male hatte sie müde ausgesehen und davon gesprochen, dass sie fix und fertig war.
Dennoch hatte sie Zeit gehabt, bei zwei von Dirgroves Operationen zuzuschauen.
»Das macht dir doch nichts aus, oder?«
»Warum sollte es mir was ausmachen?«
»Er ist vollkommen auf die Operation konzentriert, Jeremy … ich hab wahrscheinlich Schuldgefühle. Weil ich zusätzlich Zeit auf meinen bereits übervollen Dienstplan draufpacke und keine Zeit für dich
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