Der Pathologe
dem Leiter der Onkologie zur Durchsicht zu schicken.
Was jetzt?
Vor nicht allzu langer Zeit hätte er die Einsamkeit begrüßt. Jetzt kam er sich unvollständig vor.
Er loggte sich in den Computer ein, ging erneut ins Archiv des
Clarion
, aktivierte sein Konto und gab den Namen »Norbert Levy« als Suchbegriff ein. Diesmal nicht eingeschränkt durch »Mordfall«.
Nichts.
Das gleiche Resultat erhielt er bei »Edgar Marquis« und bei dem von seinen Decknamen geschützten »Harrison Maynard«, was ihn nicht überraschte.
Tina Balleron hatte zwei von Maynards Pseudonymen erwähnt. »Amanda … Fontaine«, »Barbara Kingsman«.
Mit keinem der beiden Namen erzielte er einen Treffer.
Er gab auf, schaltete den Computer aus, fuhr zum Excelsior Hotel und steuerte geradewegs auf die Bar zu. Da sie leer war, konnte er sich eine Sitznische aussuchen und entschied sich für dieselbe, in der Arthur und er getrunken und geredet und Horsd’œuvres gegessen hatten.
Er bestellte einen doppelten Scotch.
Der alte Kellner, der sie bedient hatte, war nicht da. Der junge Mann, der ihm seinen Whisky brachte, hatte ein leeres Gesicht, gute Laune und einen tänzelnden, gespreizten Gang, der Jeremy an ein sich aufbäumendes Rennpferd erinnerte.
»Irgendeine besondere Sorte, Sir?«
»Nein.«
Derselbe Raum, dieselbe Nische, aber nichts war dasselbe.
Jeremy saß eine ganze Weile dort und hielt sich lange an seinen Drinks fest, um so etwas wie Selbstbeherrschung zu simulieren.
Der junge Kellner war gelangweilt und fing an, Zeitung zu lesen. Uninteressante Musik spielte im Hintergrund. Als Jeremy seinen dritten Scotch leerte, kribbelte sein ganzer Körper.
Es gab keinen traurigeren Ort als ein Großstadthotel an einem Sonntagabend. Diese Stadt hielt sich etwas auf ihre traditionelle Lebensart zugute, und der Sonntag war ein Familientag. Selbst das Foyer war wie ausgestorben, fossile Handelsvertreter waren heimgekehrt zu ihren schwer geprüften Ehefrauen, während Hotelnutten das taten, was Prostituierte an einem Sonntag so tun.
Manchmal starben sie.
Jeremy wischte den Gedanken beiseite. Bewegte tatsächlich seine Hand, um ihn zu verscheuchen. Niemand war zugegen, der diese ticähnliche Geste hätte bemerken können, und er wiederholte sie. Amüsiert wie ein ungezogenes Kind, das mit einer Frechheit ungestraft davongekommen war.
Er bestellte noch einen Whisky, steigerte seinen Alkoholpegel, trank, bis seine Wangen eine rosige Färbung angenommen hatten. Auf einer bestimmten Ebene – einer kutanen Ebene – war es eine angenehme Erfahrung. Aber zum größten Teil fühlte er sich losgelöst.
Als lebte er in der Haut eines anderen.
34
Als er am Montag aufwachte, fühlte er sich mies, träge und steif und fragte sich, ob er sich bei Angela angesteckt hatte.
Ein ordentlicher Spaziergang in der kühlen Morgenluft erfrischte ihn und machte ihn wach, und als er ins Krankenhaus fuhr, fühlte er sich halbwegs wie ein zivilisierter Mensch. Als er sich im Speisesaal einen Kaffee holte, erblickte er Ted Dirgrove und einen anderen Weißkittel in ein Gespräch vertieft, das einen angespannten Eindruck machte. Derselbe dunkelhäutige Mann mit Schnurrbart, der mit dem Chirurgen schon das erste Mal zusammengesessen hatte, als Jeremy ihn bemerkt hatte. Die beiden und Mandel, der Kardiologe.
Es gab keinen Grund, sie jetzt zu bemerken, weil der Raum voller Weißkittel war und Dirgrove und sein Gesprächspartner hinten in einer Ecke standen. Aber irgendwas an dem Herzchirurgen … Angelas Begeisterung über das, was Dirgrove tat …
Er war tatsächlich eifersüchtig.
Er ließ einen Becher voll laufen und wandte sich zum Gehen. Dirgrove und der andere Mann hatten sich nicht vom Fleck gerührt. Ihre Diskussion wirkte nach wie vor angespannt – etwas Akademisches? Nein, das schien persönlich zu sein. Ihre Körperhaltung entsprach der zweier Hunde, die sich ankläfften.
Dann lächelte Dirgrove, und der andere Mann tat es ihm nach.
Zwei Hunde mit gefletschten Zähnen.
Es war eine ebenbürtige Paarung. Der andere Arzt war so groß wie Dirgrove, hatte eine ähnlich schlanke Figur, und seine Haare waren genauso kurz geschoren wie Dirgroves. Aber seine kurzen Locken waren so dunkel wie sein Schnurrbart.
Der dunkelhaarige Mann redete mit den Händen. Eine abschließende scharfe Bemerkung, und dann verließ er den Speisesaal. Dirgrove stand allein da und hatte die Fäuste geballt. Das munterte Jeremy auf, und er beschloss, dass er hungrig war, und
Weitere Kostenlose Bücher