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Der Pathologe

Der Pathologe

Titel: Der Pathologe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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zuzusehen.
    Ted Dirgrove hatte einen fünffachen Bypass »hingelegt«. Das Verb ließ Jeremy an eine Bühne und einen Taktstock denken.
    »Interessant«, sagte er.
    »Erstaunlich. Das muss man gesehen haben.«
    »Und der Patient ist noch am Leben.«
    »Was meinst du damit?«
    »Die einzige Patientin, die Dirgrove und ich gemeinsam hatten, lebt nicht mehr.«
    »Oh.« Sie klang gedämpft. »Ja, das war schlimm … ich mache mich jetzt wohl besser auf den Weg – hab ich mich überhaupt bei dir dafür bedankt, dass du mich bei meiner Grippe wie einen Säugling gepflegt hast?«
    »Mehr als einmal.«
    »Ich war mir nicht mehr sicher. Seit ich wieder Dienst habe, ist alles so schnell hektisch geworden, und ich weiß, dass wir nicht … egal, noch mal vielen Dank. Für die Suppe und alles andere. Dazu warst du nicht verpflichtet.«
    Ihre Dankbarkeit klang ein wenig förmlich. Sie hielt ihn auf Abstand.
    Wem wollte er etwas vormachen?
Er
hatte das getan. Der das Gespräch abwürgende finstere Blick, obwohl sie nichts weiter getan hatte, als nach …
    »Fühlst du dich immer noch kaputt?«, fragte er.
    »Ein bisschen, aber schon besser.«
    »Und der Bypass war erstaunlich.«
    »Wirklich, Jeremy. Das menschliche Herz, dieses kleine Ding, wie eine große Pflaume – wie eine gehäutete Tomate. Was für ein
phantastisches
Ding, wie die Kammern und die Klappen konzertmäßig zusammenarbeiten. Es ist …
philharmonisch
. Während die Arterien aufgeschnitten werden, lassen sie das Herz künstlich weiterpumpen und … es ist … ich denke immer noch in Orchesterbegriffen, dieses perfekte Gleichmaß, das Tempo – ach je, ich bin gerade noch mal angepiept worden, ich muss los.«
    Die dritte Ansichtskarte war aus Damaskus. Ein Bild der alten Kasbah – ein glänzendes Foto mit einem Wirrwarr von Marktständen und ihren Besitzern. Männer mit weißen Umhängen, die Messingartikel, Teppiche und getrocknete Nüsse feilboten.
    Abgestempelt in Berlin.
    Aha!
    Wieso
aha?
    Dazu fiel Jeremy nicht mehr ein, als dass Arthurs Wanderlust ihre Grenzen hatte. Der alte Mann hatte keine Lust, wegen einer levantinischen Spritztour auf die Bequemlichkeiten der westlichen Zivilisation zu verzichten.
    Aber er wollte, dass
Jeremy
levantinisch dachte.
    Damaskus … Jeremy wusste, dass in Syrien eine brutale Diktatur herrschte, aber abgesehen davon bedeuteten ihm das Land und seine uralte Hauptstadt nichts.
    Oslo, Paris, Damaskus … Oslo, Paris,
Berlin
, Damaskus? Wenn das hier ein Spiel war, befand er sich nicht mal auf dem Spielfeld.
    Er steckte die Ansichtskarte in die
Neugier
-Mappe. Überlegte es sich anders, holte die Mappe wieder hervor, unterzog noch einmal alles, was darin lag, einer genauen Prüfung und bekam schließlich schreckliche Kopfschmerzen.
    Er warf ein Aspirin ein und nahm das Risiko auf sich, seinen eigenen lausigen Kaffee zu trinken.
    Als er am Ende des Tages allein dasaß, ohne eine Chance, sich mit Angela zu treffen, und unmittelbar vor sich nur die Aussicht auf sein dunkles, kaltes Haus, ertappte er sich bei der Hoffnung auf einen weiteren Umschlag aus der Otolaryngologie. Irgendetwas, damit der Nebel sich lichtete. Er machte einen Abstecher zum Sekretariat der Psychiatrie, um sicherzustellen, dass keine neue Post angekommen war.
    Das Sekretariat war geschlossen.
    Mit den beiden Lieferungen des nächsten Tages kam ebenfalls nichts Neues. Und am Tag darauf genauso wenig.
    Plötzlich war das Leben zu ruhig geworden.
    Das Wochenende verlief ohne besondere Vorkommnisse. Angela hatte wieder Bereitschaftsdienst, und Jeremy ertrug einen einsamen Samstag, löste Kreuzworträtsel, heuchelte Interesse an Sportereignissen, lächelte Mrs. Bekanescu an, als sie den Kopf durch die Tür steckte, um ihre vordere Veranda zu kehren. Was sie mit einem bösen Blick erwiderte.
    Was hatte Doresh ihr erzählt?
    Er las die gesamte Sonntagszeitung, wobei er sich fragte, ob irgendwelche Details über die namenlose Frau am Finger auftauchen würden. Fehlanzeige. Am Sonntagabend war er bereit, die Wände hochzugehen.
    Sein Pieper war das ganze Wochenende still geblieben. Er rief in der Krankenhauszentrale an und fragte, ob irgendwelche Anrufer nach ihm gefragt hätten.
    »Nein, Dr. Carrier, niemand.«
    Er fuhr trotzdem ins Krankenhaus, nahm sein Kapitel in Angriff und stellte erstaunt fest, dass es ihm leicht von der Hand ging. Er beendete das verdammte Ding um 22 Uhr, las es noch einmal durch, änderte einige Stellen und steckte es in einen Umschlag, um es

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