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Der Pathologe

Der Pathologe

Titel: Der Pathologe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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keiner Weise problematisch waren.
    Er antwortete ihr geduldig. Ihr langes dunkles Haar war lockig und seidig, ihr Teint wie Sahne und diese herrlichen Augen so warm, wie Augen nur sein konnten. Lediglich ihre Stimme passte nicht ins Bild: ein bisschen zu aufgekratzt und zu viel betonte Endsilben. Vielleicht war sie ängstlich. Jeremy war nicht in der Stimmung für Balzrituale. Er lobte sie wegen ihrer Fragen, schenkte ihr ein professorales Lächeln und ließ sie stehen.
    Drei Stunden später tauchte Arthur Chess in seinem Büro auf.
    »Ich hoffe, ich störe nicht.«
    Oh doch, das tust du, das tust du.
Jeremy hatte an dem Entwurf eines Kapitels gearbeitet. Vor drei Jahren war er der Verhaltensforscher bei einer Untersuchung über »Blasen-Kinder« gewesen: Kinder mit Krebs in fortgeschrittenem Stadium, die in keimfreien Plastikräumen behandelt wurden, um festzustellen, ob ihr geschwächtes Immunsystem vor Infektionen geschützt werden konnte. Die Isolierung stellte eine Bedrohung für die jugendliche Psyche dar, und Jeremys Aufgabe hatte darin bestanden, emotionale Zusammenbrüche zu verhindern und zu behandeln.
    Damit hatte er Erfolg gehabt, und mehrere jener Kinder hatten die Behandlung überlebt und entwickelten sich prächtig. Der federführende Wissenschaftler war inzwischen Leiter der onkologischen Abteilung und hatte ihn gedrängt, die Ergebnisse in Buchform zu veröffentlichen, und ein Verleger medizinischer Literatur hatte reges Interesse bekundet.
    Jeremy hatte siebzehn Monate an dem Abriss gearbeitet und sich dann hingesetzt, um die Einleitung zu schreiben. Im Lauf eines Jahres hatte er zwei Seiten produziert.
    Jetzt schob er diesen kläglichen Output beiseite, räumte Tabellen und Zeitschriften auf den Stuhl neben seinem Schreibtisch und sagte: »Ganz und gar nicht, Arthur. Machen Sie es sich bequem.«
    Arthur hatte ein rotes Gesicht, und unter seinem zugeknöpften weißen Kittel lugten zwei Zentimeter rosafarbenes Hemd und eine braune Fliege hervor, die mit winzigen rosafarbenen Hummeln gefleckt war. »Das also ist Ihre Höhle.«
    »Gewissermaßen.« Der für Jeremy bestimmte Raum war ein über Eck liegender Bereich am Ende eines langen, dunklen Flurs auf einer Etage, der Nichtkliniker beherbergte – Biochemiker, Biophysiker. Alle möglichen Bios, bis auf ihn. Der Rest der Psychiatrie befand sich einen Stock höher.
    Ein einzelnes Fenster ging hinaus auf einen aschgrauen Lichtschacht. Dies war ein älterer Teil des Krankenhauses, und die Wände waren dick und feucht. Die Bio-Leute blieben unter sich. Schritte waren selten auf den Gängen zu hören.
    Seine Höhle.
    Er war hier vor vier Monaten gelandet, nachdem eine Gruppe von Chirurgen gekommen war, um den Platz auszumessen, den die Psychiatrie im obersten Stockwerk des Hauptgebäudes einnahm. Vom Penthousegeschoss, das weniger reizvoll war, als es klang, sah man auf einen Hubschrauberlandeplatz, und wenn dort Unfallopfer angeliefert wurden, musste die Therapie abgebrochen werden. Jeder Blick auf die Stadt wurde von massiven Anlagen für Heizung und Klimatisierung blockiert, und Tauben machten sich ein Vergnügen daraus, gegen die Fenster zu scheißen. Von Zeit zu Zeit hatte Jeremy gesehen, wie Ratten die Dachrinnen entlanghuschten.
    An dem Tag, als die Chirurgen kamen, hatte er versucht, etwas zu Papier zu bringen, und ihr Lachen erlöste ihn von diesem Vorhaben. Als er seine Tür aufmachte, sah er fünf elegant gekleidete Männer und eine zu ihnen passende Frau, die Maßbänder anlegten und
Hmmm
machten. Einen Monat später wurde die Psychiatrie aufgefordert, mit einer kleineren Zimmerflucht vorlieb zu nehmen. Es gab keinen Bereich, in dem die ganze Abteilung Platz gefunden hätte. Das Problem der Raumknappheit löste sich in Wohlgefallen auf, als ein emeritierter achtzigjähriger Analytiker starb und Jeremy anbot, sich anderswo einquartieren zu lassen. Das war kurz
Nach Jocelyn
gewesen, und er hatte die Abgeschiedenheit begrüßt.
    Jeremy hatte die Entscheidung nie bereut. Er konnte kommen und gehen, wie es ihm gefiel, und die Psychiatrie leitete seine Post jeden Tag gewissenhaft weiter. Der Gestank aus dem Chemielabor, der das Gebäude durchzog, machte ihm nichts aus.
    »Nett«, sagte Arthur. »Sehr nett.«
    »Was meinen Sie?«
    »Die Abgeschiedenheit.« Der alte Mann blickte zu Boden. »In die ich eingedrungen bin.«
    »Was liegt an, Arthur?«
    »Ich habe an diesen Drink gedacht. Über den wir in Renfrews Antiquariat gesprochen haben.«
    »Ja«,

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