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Der Pathologe

Der Pathologe

Titel: Der Pathologe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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Hummel-Fliege und aß aufgespießte Würstchen, und als er begann, eine Geschichte zu erzählen, erschien ein verträumter Ausdruck in seinen Augen. Es ging um einen Patienten, den er in Panama behandelt hatte. Ein junger Offizier im Pionierkorps, der von einer Dschungelwanderung zurückgekommen war, spürte einen Juckreiz unter seinem linken Schulterblatt, griff nach hinten, ertastete eine leichte Schwellung und nahm an, ein Insekt habe ihn gestochen.
    Er machte sich weiter keine Gedanken, bis er am nächsten Tag feststellte, dass die Größe der Schwellung sich verdreifacht hatte.
    »Aber trotzdem ließ er sich nicht untersuchen«, sagte Arthur. »Kein Fieber, keine anderen Beschwerden – der übliche Männlichkeitswahn, wissen Sie. Am zweiten Tag kamen die Schmerzen hinzu. Ein wundervoller Bote, der Schmerz. Erteilt uns alle möglichen Lektionen über unseren Körper. Dieser Schmerz war elektrisch – so beschrieb ihn der Bursche jedenfalls. Ein Stromstoß, der ununterbrochen durch seinen Körper fuhr. Als wenn er an ein Hochspannungskabel angeschlossen worden wäre. Als ich ihn zu Gesicht bekam, war er leichenblass und zitterte und litt erhebliche Qualen. Und die Schwellung hatte sich erneut verdreifacht. Außerdem«– Arthur beugte sich vor –»war der Bursche überzeugt, dass sich etwas darin bewegte.«
    Er nahm einen Kartoffelchip, schob ihn sich zwischen die Lippen, kaute bedächtig, wischte Krümel aus seinem Bart und fuhr fort.
    »Als ich das hörte – Bewegung –, war meine erste Annahme Krepitation. Entstehung von Flüssigkeit im Anschluss an eine Infektion, zunächst einmal nichts Beunruhigendes. Aber der arme Kerl zog sein Hemd aus, und als ich die massive Wölbung betrachtete, war ich fasziniert.« Arthur leckte sich Salz von den Lippen. In der dämmrigen Beleuchtung der Bar hatten seine Augen die Farbe von Jade angenommen.
    »Die Schwellung war riesig, Jeremy. Stark verfärbt, Nekrose hatte bereits eingesetzt. Schwarzes Fleisch, irgendwie beulenartig, so dass man Pest in Erwägung ziehen musste. Aber die Wahrscheinlichkeit eines Pestfalls war nicht sehr groß, die Pioniere hatten die Kanalzone ziemlich gründlich gesäubert. Dennoch, Überraschung ist ein grundlegender Faktor in der Medizin, das ist das Reizvolle daran, und ich wusste, dass ich eine Kultur ansetzen sollte. Zur Vorbereitung palpierte ich – der arme Teufel konnte sein Schreien kaum unterdrücken –, und als ich das tat, bemerkte ich, dass sich unter der Haut tatsächlich etwas zu bewegen schien. Etwas, das ich bei einer Krepitation noch nie gesehen hatte.«
    Noch ein Kartoffelchip. Ein bedächtiger Schluck Martini.
    Arthur ließ sich wieder zurücksinken.
    Jeremy war auf seinem Sitz nach vorn gerückt. Er entspannte sich bewusst. Wartete auf die Pointe.
    Arthur kaute und nahm erneut einen Schluck. Der alte Mistkerl war noch nicht fertig. War er zu betrunken, um den Rest zu erzählen?
    Jeremy war kurz davor zu fragen:
»Und was geschah dann?«
    Schließlich nahm Arthur einen letzten Schluck und seufzte zufrieden. »Anstatt mit der Untersuchung fortzufahren, schickte ich den Burschen zum Röntgen, und das Ergebnis war ziemlich beeindruckend, wenn auch nicht schlüssig.«
    Kauen. Schlucken.
    »Was zeigte das Röntgenbild?«, fragte Jeremy.
    »Eine gallertartige Masse unbestimmter Herkunft«, sagte Arthur. »Eine Masse, die keinem Neoplasma und keiner Zystenbildung ähnelte, die ich je gesehen hatte. Meine Referenzliteratur war keine Hilfe. Der Röntgenologe ebenfalls nicht – ohnehin nicht einer der Klügsten. Auf jeden Fall beschloss ich, den Burschen aufzuschneiden, aber vorsichtig. Was ein Glück war, weil ich in der Lage war, es intakt zu konservieren.«
    Arthur starrte das leere Martiniglas an und lächelte angesichts der Erinnerung. Jeremy beschäftigte sich mit den letzten Tropfen seines Single Malt.
    Der Pathologe knöpfte seine Weste auf und schüttelte voller Staunen den Kopf. »Befall. Befall durch
Larven
. Der arme Kerl war von einem kaum bekannten Dschungelkäfer als Wirtstier für seine neue Familie ausgewählt worden – ein ungewöhnlich kleiner Ektoparasit der Familie Adephaga. Das Insekt ist mit einem Satz biochemischer Werkzeuge ausgerüstet, die sich als äußerst nützlich für sein Überleben erweisen. Es ist braun und bescheiden und daher schwer auszumachen, und dem uninformierten Betrachter erscheint es wenig bedrohlich. Außerdem verströmt es eine Chemikalie, die natürliche Feinde abschreckt, und seine

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