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Der Patient

Titel: Der Patient Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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sich genau gleichen. Ricky hatte Jahre damit verbracht, die Flexibilität des Therapeuten zu perfektionieren, und er hatte gelernt, dass jeder beliebige Patient an jedem beliebigen Tag mit demselben oder einem völlig anderen Problem zur Tür hereinspazieren konnte und dass der Arzt jederzeit auf die wildesten Stimmungs- und Meinungsumschwünge gefasst sein musste. Das Problem, dachte er, lag darin, die Stärken und Fähigkeiten, die er in all den Jahren hinter der Couch erworben hatte, so zielstrebig zu kanalisieren, dass er sich sein Leben zurückerobern konnte.
    Er gab sich keinen Illusionen hin, er könnte irgendwann wieder zu dem zurückkehren, was er einmal gewesen war. Kein hoffnungsvolles Tagträumen, dass er je in seine alte Wohnung in New York und in die Routine seines früheren Lebens zurückkehren könnte. Darum ging es nicht, so viel war ihm klar. Vielmehr ging es darum, dass der Mann, der sein Leben ruiniert hatte, den Preis dafür zahlen sollte.
    War diese Schuld erst beglichen, erkannte Ricky, dann stand es ihm frei, zu werden, was er wollte. Bis das Schreckgespenst von Rumpelstilzchen endgültig aus seinem Leben verbannt war, würde er keinen Moment frei sein, keine Sekunde Frieden haben.
    Daran gab es nicht den geringsten Zweifel.
    Überdies konnte er nicht sicher sein, dass Rumpelstilzchen Rickys Selbstmord geschluckt hatte. Es war mit der Möglichkeit zu rechnen, dass er nur Zeit gewonnen hatte, für sich selbst wie auch für den unschuldigen Angehörigen, den derMann ins Visier genommen hatte. Es war eine höchst seltsame Situation. Rumpelstilzchen war ein Killer. Jetzt musste es Ricky gelingen, den Mann bei seinem eigenen Spiel zu schlagen.
    So viel war ihm klar: Er musste jemand werden, der sich von dem Mann, der er einmal gewesen war, vollkommen unterschied.
    Er musste diese neue Persona erfinden, ohne irgendwie zu verraten, dass der Mann, der einmal als Dr. Frederick Starks bekannt gewesen war, noch existierte. Seine eigene Vergangenheit stand ihm nicht mehr offen. Er wusste nicht, wo Rumpelstilzchen ihm eine Falle gestellt hatte, doch er wusste, dass es eine solche Falle gab, die bei dem geringsten Anzeichen dafür, dass er nicht vor Cape Cod im Wasser trieb, zuschnappen würde.
    Er wusste, dass er einen neuen Namen brauchte, einen erfundenen, glaubhaften Lebenslauf.
    In diesem Land, wurde Ricky bewusst, sind wir zu allererst einmal Nummern. Sozialversicherungsnummern. Bankkonten- und Kreditkartennummern. Steuernummern. Führerscheinnummern. Telefonnummern und Anschriften mit Hausnummer. Diese zu kreieren, stand somit in seiner Geschäftsordnung obenan. Dann musste er eine Arbeit finden, ein Zuhause, er musste sich eine Welt erschaffen, die glaubhaft war und zugleich vollkommen anonym. Er musste der kleinste, unbedeutendste Wicht sein, den man je gesehen hatte, und sich anschließend das Wissen und Können antrainieren, um den Mann aufzuspüren und hinzurichten, der ihn zum Selbstmord gezwungen hatte.
    Der fiktive Lebenslauf und die neue Identität machten ihm keine Sorgen. Immerhin war er Experte, wenn es um das Verhältnis zwischen den tatsächlichen Ereignissen im Leben einesMenschen und den Eindrücken ging, die sie in der Psyche hinterlassen. Viel schwieriger war es, mit den Nummern aufzuwarten, die den neuen Ricky glaubhaft machten.
    Sein erster Versuch scheiterte kläglich. Er ging zur Bibliothek der University of New Hampshire, nur um festzustellen, dass er einen Studentenausweis brauchte, um am Sicherheitsdienst an der Tür vorbeizukommen. Einen Moment lang blickte er sehnsüchtig zu den Studenten hinüber, die durch die Reihen der Bücher wanderten. Es gab jedoch eine zweite, wenn auch bedeutend kleinere Bibliothek, die in der Jones Street lag. Es handelte sich um eine öffentliche Bücherei, die zwar nicht annähernd so umfangreich war wie die Universitätsbibliothek und nicht diese höhlenartige Stille bot, dafür aber zweifellos das, was Ricky brauchen würde, nämlich Bücher und Informationen. Ein zweiter Vorzug lag auf der Hand: Sie stand jedermann offen. Jeder konnte in diesen geduckten, zweistöckigen Ziegelbau marschieren, sich in einen der überall verstreuten breiten Ledersessel setzen und jede beliebige Zeitung oder Zeitschrift oder auch Bücher lesen. Die Ausleihe hätte allerdings einen Bibliotheksausweis erfordert. Die Bücherei bot noch einen zweiten Vorteil: An einer Wand stand ein langer Tisch mit vier verschiedenen Computern. Auf einer Liste waren die Regeln für

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