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Der Patient

Titel: Der Patient Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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nach seiner Vergangenheit befragt, dann erfand er die eine oder andere harmlose Geschichte, nichts allzu Hahnebüchenes, das Zweifel säen konnte; oder aber er lenkte mit einer Gegenfrage von der Frage ab. Ricky, der ehemalige Psychoanalytiker, stellte fest, dass er Experte darin war, eine Situation zu schaffen, in der die Leute glaubten, er habe etwas von sich erzählt, während er in Wahrheit von ihnen sprach. Er staunte selbst zuweilen, wie leicht ihm die Lügen über die Lippen kamen.
    Zuerst half er auf ehrenamtlicher Basis in einem Obdachlosenasyl aus, dann wurde daraus ein weiterer Job. Zwei Nächte die Woche übernahm er bei einer örtlichen Telefonseelsorgedie Stunden von zehn Uhr abends bis zwei Uhr früh, die mit Abstand interessanteste Schicht. Nicht selten redete er um Mitternacht in sanftem Ton Studenten gut zu, die sich in unterschiedlich schweren Stresssituationen befanden, und merkte, wie ihn der Kontakt mit anonymen, doch bedrängten Menschen eigentümlich stimulierte. Es war keine schlechte Methode, als Psychoanalytiker in der Übung zu bleiben. Jedesmal, wenn er den Hörer auflegte, nachdem er einen jungen Menschen von einer Kurzschlusshandlung abgebracht und überredet hatte, in der Universitätsklinik Hilfe zu suchen, dachte er, dass er gewissermaßen für seine Nachlässigkeit vor zwanzig Jahren Buße tat, als Claire Tyson in sein verhasstes Kliniksprechzimmer gekommen war und er kein Ohr für ihre Beschwerden gehabt hatte und keinen Blick für die Gefahr, in der sie schwebte.
    Frederick Lazarus war aus anderem Holz geschnitzt. Ricky schuf in ihm einen derart abgebrühten Menschen, dass er selbst staunen musste.
    Frederick Lazarus war Mitglied in einem Fitness-Club, wo er endlose Meilen auf einem Laufband herunterstrampelte, um anschließend die Hanteln zu attackieren, so dass er mit jedem Tag leistungsfähiger und kräftiger wurde und den dünnen, doch verweichlichten Körper des New Yorker Seelenklempners neu modellierte. Seine Taille wurde schmaler, seine Schultern breiter. Von einem gelegentlichen Stöhnen und dem Stampfen seiner Füße auf der Tretmaschine abgesehen, trainierte er stumm und allein. Er ging dazu über, sich das dunkelblonde Haar heftig zu gelen und glatt aus der Stirn zu kämmen. Er ließ sich einen Vollbart stehen. Er gewann ein eiskaltes Vergnügen an der physischen Anstrengung, die er sich abverlangte, besonders, als er merkte, dass er nicht mehr kurzatmig war, wenn er sein Tempo beschleunigte. Der Clubbot – in erster Linie für Frauen – einen Kurs in Selbstverteidigung an, und er stellte seinen Zeitplan ein wenig um, so dass er daran teilnehmen konnte und die grundlegende Wurftechnik sowie die schnellen, wirkungsvollen Schläge gegen Hals, Gesicht oder Lenden lernte. Zuerst kam seine Teilnahme den Frauen im Kurs nicht unbedingt gelegen, doch seine Bereitschaft, bei ihren Übungen als Versuchskaninchen herzuhalten, brachte ihm ein gewisses Wohlwollen ein. Zumindest waren sie gewillt, ohne Schuldgefühle auf ihn einzudreschen, wenn er Schutzkleidung trug. Für ihn war es ein Mittel, sich weiter abzuhärten.
    An einem Samstagnachmittag in der zweiten Januarhälfte schlitterte Ricky durch Schneeverwehungen und über vereiste Bürgersteige und betrat das Sportartikelgeschäft »R and R«, das sich ein gutes Stück vom Universitätsgelände entfernt in einer billigen Einkaufsstraße mit Discountläden für Reifen und Schnellölservice befand. R and R – es gab nirgends ein Schild, dem zu entnehmen war, wofür die Buchstaben standen – befand sich in einem niedrigen, quadratischen Ladenlokal, das von Zielscheiben in Form von Plastikhirschen, von Jagdkleidung in leuchtendem Orange, von Regalen mit Angelausrüstung sowie Pfeilen und Bogen wimmelte. Eine Wand war mit einer großen Auswahl an Jagdgewehren und Schrotflinten bestückt sowie mit Schnellfeuerwaffen, die sogar noch die relativ bescheidene Ästhetik der Holzschäfte und polierten Läufe ihrer ansehnlicheren Verwandten vermissen ließen. Die AR-15 und AK-47 waren von militärischer, schnörkelloser Zweckmäßigkeit. In der Glastheke wiederum lagen reihenweise Handfeuerwaffen aus. Stahlblau glänzender Chrom. Schwarzes Metall.
    Er brachte eine glatte Stunde damit zu, mit dem Verkäufer über die jeweiligen Vorzüge verschiedener Waffen zu plaudern.Der bärtige, glatzköpfige Mann war etwa Mitte vierzig und trug um die ausladende Taille unter dem rot karierten Jagdhemd eine Pistole mit kurzem Lauf im Halfter. Sie

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