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Der Patient

Titel: Der Patient Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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stellt, und nach dem ersten Schock darüber, dass dieser Moment nun tatsächlich eingetroffen war, wusste er genau, was er zu tun hatte.
    Ricky fühlte sich ein wenig flau im Magen, als dieser Gedanke in ihm arbeitete.
    Direkt hinter dem Friedhofstor duckte sich ein kleines, weißes, schindelverkleidetes Häuschen, ein Stück von den Wegen zwischen den Gräberreihen zurückgesetzt.
    Ricky vermutete, dass es mehr als nur ein Schuppen war, und fuhr heran. Kaum hielt er direkt vor dem Haus, als ein grauhaariger Mann in einer blauen Arbeitskluft, die Rickys Hausmeisteruniform nicht unähnlich war, herauskam und ein paar Schritte auf einen fahrbaren Rasenmäher zu machte, der neben dem Häuschen stand. Als er Ricky aussteigen sah, blieb er stehen.
    »Kann ich Ihnen irgendwie helfen?«, fragte der Mann.
    »Ich suche nach zwei Gräbern«, sagte Ricky.
    »Ham ’ne Menge Leute hier unter der Erde, wen haben Sie denn im Auge?«
    »Ein Ehepaar namens Jackson.«
    Der alte Mann lächelte. »Ist seit ’ner Ewigkeit keiner mehr gekommen, um das Grab zu besuchen. Viele denken wahrscheinlich, das bringt Pech oder so. Also, ich für meinen Teil, ich bin der Meinung, dass alle, die hier ihre letzte Ruhestätte gefunden haben, schon alles, Glück oder Pech, das ihnen bestimmt ist, hinter sich haben, ist mir also ziemlich egal. Das Grab von den Jacksons ist hinten, letzte Reihe, ganzes Ende nach rechts. Fahren Sie die Straße weiter, bis es nicht mehr geht, steigen Sie aus und gehen Sie zu Fuß dort lang. Dann sind Sie bald da.«
    »Haben Sie sie gekannt?«
    »Nee. Sind Sie ein Verwandter?«
    »Nein«, sagte Ricky. »Ich bin Detektiv. Interessiere mich für ihre Adoptivkinder.«
    »Die hatten nix, was man so Familie nennen könnte. Keine Ahnung von wegen Adoptivkinder oder so. Das hätte doch in der Zeitung stehen müssen, damals, als sie starben, aber ich kann mich nich dran erinnern, und die Jacksons, die standen einen Tag oder so auf der ersten Seite.«
    »Wie sind sie denn gestorben?«
    Der Mann wirkte erstaunt. »Dachte, das wüssten Sie, wo Sie herkommen und das Grab sehen wollen und so …«
    »Also, wie?«
    »Na ja, war so was, was die Cops Mord mit anschließendem Selbstmord nennen. Der alte Mann hat, nachdem sie sich mal wieder gestritten hatten, seine Frau erschossen und die Waffe dann gegen sich gerichtet. Die Leichen haben für ’n paar Tage in dem Haus geschmort, bevor der Briefträger merkt, dass keiner die Post aufhebt. Schöpft Verdacht und ruft die Polizei. Offenbar sind auch noch die Hunde über die Leichen hergefallen, war also nich mehr viel übrig außer ’n paar ziemlich unappetitlichen Resten. Menge Ärger in dem Haus, können Sie glauben.«
    »Der Mann, der es gekauft hat …«
    »Persönlich kenn ich ihn nicht, soll aber ’n übler Bursche sein. Genauso fies wie die Hunde. Hat auch den Zuchtbetrieb übernommen, den die Jacksons da hatten; wenigstens hat er sämtliche Tiere getötet, die die früheren Eigentümer verspeist haben. Aber irgendwie denke ich, dass er mal genauso endet wie die beiden. Vielleicht macht ihm das zu schaffen. Und er is deshalb so ’n fieser Knochen.«
    Der alte Mann brach in ein grausiges Lachen aus und deutete den Hang hinauf.
    »Da oben«, sagte er. »Eigentlich ein ziemlich schönes Fleckchen Erde, um da bis in alle Ewigkeit zu ruhen.«
    Ricky überlegte einen Moment und fragte dann: »Sie wissen nicht zufällig, wer die Grabstätte gekauft hat, oder? Und wer für die Pflege aufkommt?«
    Der Mann zuckte die Achseln. »Weiß nicht, da kommt einfach immer pünktlich ein Scheck.«
    Es war nicht schwer, die Grabstätte zu finden. Ricky stand eine Weile reglos in der Stille der gleißenden Mittagssonne und überlegte, ob irgendjemand nach Rickys vermeintlichem Selbstmord dafür gesorgt hatte, dass er einen Grabstein bekam. Er bezweifelte es. Er war so isoliert gewesen wie die Jacksons. Er fragte sich auch, wieso er nie eine Art Ehrenmal für seine tote Frau errichtet hatte. Sicher, er hatte nach ihrem Tod geholfen, in ihrem Namen einen Bücherfonds in ihrer juristischen Fakultät ins Leben zu rufen, und er hatte jedes Jahr in ihrem Namen an den Naturschutzbund gespendet, und er hatte sich gesagt, dass so etwas besser sei als irgendein Stück kalter Stein, der über einen schmalen Streifen Erde wachte. Er ertappte sich, wie er dastand und über den Tod sinnierte, über seine Endgültigkeit und die Auswirkung auf die Hinterbliebenen. Wir lernen mehr über die Lebenden, dachte er, wenn

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