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Der Patient

Titel: Der Patient Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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herauszuhören, also waren vermutlich keine Drogen oder Alkohol im Spiel. Einfach nur nächtliche Einsamkeit und eine richtig miese, verzweifelte Stimmung.
    »Können Sie ein bisschen langsamer reden und versuchen, mir zu erzählen, was los ist? Nicht die größeren Zusammenhänge, einfach nur, was in diesem Moment los ist. Von wo aus rufen Sie denn an?«
    Erst Schweigen, dann eine Reaktion: »Aus meinem Zimmer im Studentenheim.«
    »In Ordnung«, sagte Ricky freundlich und tastete sich behutsam weiter vor. »Sind Sie allein?«
    »Ja.«
    »Keine Zimmergenossin? Freunde?«
    »Nein. Ganz allein.«
    »Ist das immer so? Oder fühlen Sie sich nur im Moment so?«
    Bei dieser Frage dachte die Frau wohl angestrengt nach. »Also, mein Freund hat mit mir Schluss gemacht, und meine Seminare sind alle ganz schrecklich, und wenn ich nach Hausekomme, bringen mich meine Alten um, weil ich aus der Gruppe der Spitzenkandidaten rausgefallen bin. Kann sein, dass ich auch mein Komparatistikseminar nicht bestehe, und es kommt einfach alles zusammen und …«
    »Und deshalb sind Sie irgendwie auf die Idee gekommen, unter dieser Nummer anzurufen, richtig?«
    »Ich wollte reden. Ich wollte mir nichts antun …«
    »Das ist auch ganz und gar vernünftig. Klingt so, als wär dieses Semester nicht so toll gelaufen.«
    Die junge Frau lachte, ein wenig bitter. »Können Sie laut sagen.«
    »Aber es ist ja nicht das letzte Semester, oder?«
    »Nein, natürlich nicht.«
    »Und Ihr Freund, was hat er gesagt, wieso er Schluss machen wollte?«
    »Er sagt, er will sich im Moment nicht binden …«
    »Und diese Antwort hat Sie, was? Deprimiert?«
    »Ja. Es war wie ein Schlag ins Gesicht. Ich hatte das Gefühl, dass er mich nur benutzt hat, na ja, für den Sex, und dann, wo’s auf die Sommerferien zugeht, hat er sich wohl gedacht, es lohnt sich nicht mehr mit mir. Als wär ich so was wie ’ne Zuckerstange. Man probiert mal dran, und dann hopp …«
    »Das haben Sie schön gesagt«, erwiderte Ricky. »Eine Beleidigung also. Ein ziemlicher Schlag gegen Ihr Selbstwertgefühl.«
    Wieder überlegte die Frau. »Wahrscheinlich, aber so hatte ich es eigentlich nicht gesehen.«
    »Also«, fuhr Ricky im selben festen, aber leisen Tonfall fort, »dann sollten Sie eigentlich nicht deprimiert sein und denken, dass mit Ihnen etwas nicht stimmt, sondern Sie sollten auf den Mistkerl sauer sein, denn offensichtlich liegt das Problem bei ihm. Und es hat mit Egoismus zu tun, oder nicht?«
    Er konnte förmlich hören, wie die Frau nickte. Dies war eins der typischen Telefonate, dachte er. Sie rief in der Verzweiflung über eine Beziehungs- oder Studienkrise an, ohne bei genauer Betrachtung zu wissen, was echte Verzweiflung war. »Ich glaube, das kann man so sagen«, stellte sie fest. »Das miese Schwein.«
    »Sie sollten sich vielleicht freuen, ihn los zu sein. Gibt ja noch andere Männer auf der Welt.«
    »Ich dachte, ich liebe ihn«, sagte die junge Frau.
    »Und deshalb tut es ein bisschen weh, nicht wahr? Aber das heißt noch nicht, dass Ihnen wirklich jemand das Herz gebrochen hat. Es tut wohl eher weh, dass Sie sich etwas vorgemacht haben, und jetzt ist Ihr Vertrauen ins Schwanken geraten.«
    »Klingt vernünftig, was Sie da sagen«, erwiderte sie.
    Ricky spürte förmlich, wie am anderen Ende der Leitung die Tränen trockneten.
    Nach einer Weile fügte sie hinzu: »Sie müssen eine Menge solche Anrufe wie meinen bekommen. Noch vor ein, zwei Minuten kam mir alles so wichtig und schrecklich vor. Ich hab Rotz und Wasser geheult, und jetzt …«
    »Bleiben immer noch die Noten. Was wird passieren, wenn Sie nach Hause kommen?«
    »Sie werden stinkesauer sein. Mein Dad wird sagen, ›Ich verschwende mein hart verdientes Geld doch nicht an einen Haufen Dreien und Vieren …‹«
    Die junge Frau gab ein passables, verächtliches Schnauben von sich und senkte die Stimme, so dass es recht überzeugend nach einem ungehaltenen Vater klang. Ricky lachte, und sie lachte mit.
    »Er wird’s überleben«, sagte er. »Hauptsache, Sie sind ehrlich. Erzählen Sie ihm von Ihrem Stress und Ihrem Freund unddass Sie sich anstrengen werden, das wieder aufzuholen. Er kriegt sich schon ein.«
    »Sie haben Recht.«
    »Also«, sagte Ricky, »hier das Rezept für morgen: Schlafen Sie gut aus. Dann stehen Sie auf und besorgen sich so einen dreckig süßen Kaffee mit ordentlich Schaum obendrauf, so ’ne richtige Kalorienbombe. Nehmen Sie den mit in einen der Innenhöfe, setzen Sie sich auf eine

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