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Der Patient

Titel: Der Patient Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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Bank, schlürfen Sie langsam Ihren Kaffee und bewundern Sie das Wetter. Und falls Sie den fraglichen Jungen sehen, also, ignorieren Sie ihn einfach. Und falls er mit Ihnen reden will, lassen Sie ihn stehen. Denken Sie ein bisschen dran, was der Sommer bringt. Es gibt immer Hoffnung, dass alles wieder gut wird. Sie müssen nur ein bisschen suchen.«
    »In Ordnung«, sagte sie. »Danke, dass Sie mit mir geredet haben.«
    »Falls Sie sich immer noch deprimiert fühlen, falls Sie an den Punkt kommen, wo Sie das Gefühl haben, Sie packen das alleine nicht mehr, dann sollten Sie sich beim studentischen Gesundheitsdienst melden und einen Termin bei einem psychologischen Berater machen. Die helfen Ihnen bei Ihren Problemen weiter.«
    »Sie wissen eine Menge über Depressionen«, sagte sie.
    »Oh ja«, antwortete Ricky. »Das stimmt. Normalerweise vergehen sie wieder. Manchmal nicht. Der erstere Fall ist ganz normal im Leben, der zweite ist eine echte, schlimme Krankheit. Sie klingen nach dem ersten Typ.«
    »Ich fühl mich schon besser«, sagte sie. »Vielleicht nehme ich zu dem Kaffee noch ein Hefeteilchen. Zum Teufel mit den Kalorien.«
    »Das ist die richtige Einstellung«, sagte Ricky.
    Er wollte schon aufhängen, hielt aber inne.
    »Hören Sie«, sagte er. »Können Sie mir vielleicht bei was helfen …«
    Die junge Frau klang ein bisschen erstaunt, antwortete aber, »Ähm, was? Sie brauchen Hilfe?«
    »Das hier ist immerhin die Telefonseelsorge«, sagte Ricky und ließ ein wenig Humor einfließen. »Wie kommen Sie darauf, dass die Leute an diesem Ende der Leitung nicht auch ihre Krisen haben?«
    Die junge Frau schwieg, als müsse sie sich erst bewusst machen, wie naheliegend die Bemerkung war. »Okay«, sagte sie. »Wie kann ich Ihnen helfen?«
    »Als Sie klein waren«, sagte Ricky, »was für Spiele haben Sie da gespielt?«
    »Spiele? Meinen Sie, Brettspiele, Sie wissen schon, Risiko …«
    »Nein. Spiele für draußen, auf dem Spielplatz.«
    »Wie Ringel-Ringel-Reihe oder Plumpsack?«
    »Ja. Aber wenn Sie nun mit anderen Kindern ein Spiel machen wollten, ein Spiel, bei dem einer den anderen jagt, während er zugleich der Gejagte ist, was fällt Ihnen dazu ein?«
    »Kein einfaches Versteckenspielen, wie? Klingt ein bisschen gemeiner.«
    »Ja, stimmt.«
    Die junge Frau überlegte und dachte dann laut nach, »Na ja, da gab es Räuber und Gendarm, aber da ging es mehr um physische Kraft. Dann gab es noch andere Fangspiele und ›Simon sagt‹ …«
    »Nein, was ich suche, müsste ein bisschen gewagter sein …«
    »Am ehesten vielleicht Fuchsjagd«, sagte sie abrupt. »Da war es besonders schwer zu gewinnen.«
    »Wie ging das?«, fragte Ricky.
    »Im Sommer, draußen auf dem Land. Es gab zwei Mannschaften,die Füchse und die Hunde. Die Füchse sind weggelaufen, mit einer Viertelstunde Vorsprung. Sie hatten Papiertüten mit Zeitungsschnipseln dabei. Alle zehn Meter mussten sie eine Handvoll ausstreuen. Die Hunde sind der Spur gefolgt. Das Entscheidende dabei war, falsche Spuren zu legen, Haken zu schlagen, die Meute vom Weg abzubringen, so was in der Art. Die Füchse hatten gewonnen, wenn sie es in einer festgesetzten Zeitspanne bis zum Start zurück schafften, zum Beispiel in zwei oder drei Stunden. Die Hunde gewannen, wenn sie die Füchse einholten. Falls sie die Füchse irgendwo auf der anderen Seite eines Feldes entdeckten, konnten sie wie Hunde hinterherlaufen. Und die Füchse mussten sich verstecken. Also haben die Füchse manchmal dafür gesorgt, dass sie wussten, wo die Hunde sind, ich meine, Spione ausgeschickt …«
    »Das ist das Spiel, das ich im Sinn hatte«, sagte Ricky ruhig.
    »Welche Seite hat gewöhnlich gewonnen?«
    »Das war das Tolle daran«, sagte die junge Frau. »Das kam auf den Einfallsreichtum der Füchse und die Zielstrebigkeit der Hunde an. Also konnte wirklich jederzeit jede Seite gewinnen.«
    »Danke«, sagte Ricky. In seinem Kopf jagten sich bereits die Ideen.
    »Viel Glück«, sagte die Frau und legte auf.
    Genau das brauchte er, dachte Ricky: viel Glück.
     
    Bereits am nächsten Morgen traf er seine Vorbereitungen. Er bezahlte seine Miete für den nächsten Monat, sagte seinen Vermieterinnen jedoch, er werde wahrscheinlich in einer Familienangelegenheit unterwegs sein. Er hatte eine Pflanze in sein Zimmer gestellt und nahm ihnen das Versprechen ab, sie regelmäßig zu gießen. Dies war, so seine Überlegung, diesicherste psychologische Methode; kein Mann, der das Weite suchen wollte,

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