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Der Patient

Titel: Der Patient Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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wo er Halt machte und bei einem Cheeseburger mit Pommes – beides tatsächlich von einer Person und keiner Maschine bereitet – ein wenig Zeit totschlug. Der Junitag war lang, und als er das Lokal verließ, war es immer noch hell. Er fuhr zu der Grabstätte hinüber, an der er vor zwei Wochen gestanden hatte. Der alte Wärter war, wie erwartet, schon gegangen. Er hatte Glück, das Eingangstor zum Friedhof war nicht abgeschlossen oder verriegelt, und so parkte er den Leihwagen hinter dem kleinen weißen Schindelschuppen, wo er vom Fahrweg aus nicht zu sehen war oder zumindest nicht den Verdacht eines zufälligen Passanten erregte.
    Bevor er in die Gurte des Rucksacks schlüpfte, nahm sich Ricky die Zeit, sich von oben bis unten dick mit Insektenspray zu besprühen und die OP-Handschuhe anzuziehen. Zwar würden diese Maßnahmen seinen eigenen Körpergeruch nicht ganz überdecken, ihn aber zumindest vor Schildzecken schützen. Es dämmerte allmählich, so dass der Himmel über New Jersey eine kränklich graubraune Farbe annahm, als hätte die Nachmittagshitze die Ränder der Welt versengt. Ricky warf sich den Rucksack über die Schulter und rannte nach einem einzigen Blick zurück auf die verlassene Landstraße Richtung Hundezwinger los, wo, wie er sicher wusste, die Informationen warteten, die er an diesem Punkt benötigte. Aus derschwarzen Teerdecke stiegen immer noch Hitzeschwaden und füllten ihm die Lunge. Er atmete schwer, doch er wusste, dass das nicht am Rennen lag.
    Er bog von der Straße ab und duckte sich unter den Baldachin der Bäume, huschte an dem Zwingerschild und dem Bild von dem massigen Rottweiler vorbei. Dann verließ er die Einfahrt und schlug sich ins Gebüsch und das Gestrüpp, das den Zwinger vom Highway aus verdeckte. Sachte bahnte er sich seinen Weg auf das Haus und die Zwinger zu. Immer noch im Schutz des Laubs und der ersten dunklen Schatten der Nacht zog Ricky das Fernglas aus dem Rucksack und sah sich den Außenbau wie die gesamte Anlage genauer an als bei seinem letzten, abrupt endenden Besuch.
    Sein Blick wanderte zuerst zu dem Pferch neben dem Haupteingang, wo er Brutus nervös auf und ab laufen sah. Er riecht das DEET, dachte Ricky. Und mich. Aber er weiß noch nicht recht, was er davon halten soll. Der Hund registrierte den Sinneseindruck vorerst als etwas Ungewohntes. Ricky war noch nicht so nahe herangekommen, als dass das Tier ihn als Bedrohung empfand. Einen Augenblick lang beneidete er die Kreatur um ihre einfache Welt aus Gerüchen und Instinkten, unbeeinträchtigt von den Wechselbädern der Emotionen.
    Als Ricky das Fernglas in einem Bogen schweifen ließ, sah er, wie im Haupthaus gerade Licht angeknipst wurde. Er starrte ein, zwei Minuten hinüber, bis er in einem Zimmer vorn in Eingangsnähe das typische bleiche Flimmern eines Fernsehers erkannte. Das Zwingerbüro ein Stück weiter links blieb dunkel und vermutlich abgeschlossen. Er warf einen letzten Blick durchs Fernglas und entdeckte einen großen, rechtwinkligen Scheinwerfer an der Eingangsüberdachung. Er schätzte, dass es ein Bewegungsmelder war, dessen Reichweite die Frontseite des Hauses abdeckte. Ricky steckte dasFernglas in die Tasche zurück und bewegte sich im niedrigen Gestrüpp parallel zur Hausfront weiter, bis er den Rand des Anwesens erreichte. Ein zügiger Sprint würde ihn bis ans Zwingerbüro bringen, möglicherweise, ohne die Außenbeleuchtung auszulösen.
    Nicht nur Brutus war durch seine Anwesenheit erregt. Auch ein paar andere Hunde bewegten sich unruhig in ihren Zwingern und schnupperten in die Luft. Ein paar von ihnen hatten, irritiert von einem Geruch, den sie nicht kannten ein-, zweimal nervös gebellt.
    Ricky wusste genau, was er vorhatte, und stellte fest, dass sein Plan einige Vorzüge besaß. Ob er ihn so ausführen konnte, war nicht zu sagen. Nur eines wusste er, nämlich dass er sich bis jetzt nur am Rande der Legalität bewegt hatte. Dies jedoch war ein Schritt weiter. Und noch eine Kleinigkeit war Ricky bewusst: Für einen Mann, der gern Spielchen trieb, befolgte Rumpelstilzchen herzlich wenig Regeln. Jedenfalls keine, die sich an irgendwelche Ricky geläufigen moralischen Normen knüpften. Ricky wusste, dass er selbst, auch wenn es Mr. R. noch nicht wusste, dabei war, ein wenig tiefer in diese Gefilde vorzudringen.
    Er holte tief Luft. Der alte Ricky hätte sich nicht ausgemalt, jemals in einer solchen Lage zu sein. Der neue Ricky verfolgte zielstrebig und eiskalt sein Ziel. »Was ich

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