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Der Patient

Titel: Der Patient Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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gewesen bin«, flüsterte er sich zu, »bin ich nicht mehr. Und was ich mal sein kann, muss erst noch werden.« Er fragte sich, ob er jemals etwas gewesen war, das seinem eigentlichen Wesen und seinen Anlagen entsprach. Eine komplizierte Frage, räumte er ein. Er musste in sich hineingrinsen. Eine Frage, mit der er vor langer, langer Zeit Stunden und Tage auf der Couch hatte zubringen können. Das war einmal. Er schob den Gedanken in irgendeinen verborgenen Winkel seines Bewusstseins ab.
    Als er zum Himmel sah, stellte er fest, dass das letzte Tageslicht endlich verschwunden war und jeden Moment völliges Dunkel herrschen würde. Eine höchst ungewisse Tageszeit, dachte er, und perfekt für seinen Plan.
    Damit holte Ricky die kleine Brechstange und das Fahrradschloss heraus und nahm sie fest in die rechte Hand. Dann nahm er den Rucksack wieder auf den Rücken, holte tief Luft, brach aus dem Gebüsch hervor und rannte so schnell er konnte zur Vorderseite des Hauses.
    Augenblicklich brach ein wahrer Tumult los und drang durch die nächtlichen Schatten. Kläffen, Heulen, Bellen und Knurren jeglicher Art zerriss die Stille und übertönte das Knirschen seiner Laufschuhe auf dem Kies. Nur am Rande nahm er wahr, dass sämtliche Tiere in ihren kleinen Zwingern von einem Ende zum anderen jagten und sich vor lauter Hundeerregung drehten und wanden. Eine Welt aus spastischen Marionetten, Strippen, die die Verwirrung zog.
    In Sekundenschnelle hatte er die Vorderseite von Brutus’ Zwinger erreicht. Der riesige Hund schien das einzige Tier im Zwinger zu sein, das so etwas wie Haltung bewahrte, wenn auch gepaart mit einer Drohgebärde. Er schritt auf dem Zementboden hin und her, blieb jedoch stehen, als Ricky das Tor erreichte. Eine Sekunde lang beäugte Brutus Ricky mit offenem Maul, gefletschten Zähnen und Geknurr. Dann sprang der Hund in schockierendem Tempo über die volle Distanz und warf sich mit seinem geballten Zentner Gewicht gegen den Maschendrahtzaun, der ihn gefangen hielt. Die gebündelte Kraft der Attacke riss Ricky fast von den Füßen. Brutus fiel, jetzt schäumend vor Wut, nach hinten, um sich erneut in die Stahlkette zu werfen, so dass seine Zähne gegen das Eisen klickten.
    Ricky bewegte sich schnell. Mit wenigen Griffen hatte er dasFahrradschloss um die beiden Pfosten der Zwingertür geschlungen und die Hände jedes Mal zurückgezogen, bevor der Hund zubeißen konnte, dann die Kette mit dem Schloss gesichert, daran die Kombination gedreht und es dann fallen lassen. Augenblicklich zerrte Brutus an dem gummibeschichteten Stahl der Kette. »Du kannst mich mal«, flüsterte Ricky mit einem spöttischen Anklang von Dirty Harry. »Wenigstens bleibst du, wo du bist.« Dann erhob er sich und sprang zur Vorderseite des Zwingerbüros hinüber. Er rech nete damit, dass ihm nur wenige Sekunden blieben, bis der Besitzer zu guter Letzt auf das anschwellende Getöse reagierte. Ricky nahm vorsichtshalber an, dass der Mann bewaffnet war, auch wenn sein Vertrauen in Brutus Waffen vielleicht überflüssig machte.
    Er stieß das Brecheisen in den Türpfosten und hebelte das Schloss unter Knirschen und Splittern heraus. Es war alt, entsprechend verzogen und daher leicht zu knacken. Wahrscheinlich bewahrte der Zwingerbesitzer sowieso kaum Wertsachen in dem Büro auf, und noch weniger rechnete er wohl damit, dass sich ein Einbrecher mit Brutus anzulegen wagte. Die Gattertür ging auf, und Ricky trat ein. Er schwang sich den Rucksack vom Rücken, stopfte die Brechstange hinein und zog die Pistole heraus, um hastig das Magazin einzulegen.
    Drinnen war die Hölle los. Das aufgeregte Gekläff ließ kaum einen klaren Gedanken aufkommen, brachte ihn aber auf eine Idee. Ricky knipste die Taschenlampe an und rannte den muffigen, stinkenden Gang zwischen all den Zwingern mit den Hunden entlang, um bei jedem kurz anzuhalten und ihn zu öffnen.
    Innerhalb weniger Sekunden war Ricky von einem Knäuel springender, bellender Tiere aller möglichen Rassen umzingelt.Sie schnüffelten und kläfften verwirrt, begriffen aber, dass sie sich frei bewegen konnten. Etwa drei Dutzend Hunde unterschiedlichster Größe und Gestalt wussten zwar nicht, was das Ganze sollte, waren aber wild entschlossen, mitzumachen. Ricky zählte auf diese primitive Hundepsychologie nach dem Motto: Dabei sein ist alles. So nervös er war, musste er doch über all das Schnüffeln und Schnuppern rund um seine Beine und dazwischen unwillkürlich schmunzeln. Inmitten des Rudels

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